oder:
Wie ich das Licht in den Süden brachte.
Kurz ein paar Eckdaten:
Roller: Lambretta Jet 200
Distanz: 7708km
Zeitraum: 23.8. – 8.10.2012
Verbrauch:
11l 2T-Öl
ca. 350L Benzin
1l Getriebeöl
1 Stk. Simmering Maghousing-Seite
1 Stk. Bremshebel
eine Dose Bremsreiniger
fast drei Schwalbe Weatherman Reifen
zwei Schläuche
Bowdenzughülle Kupplungszug
Seit meiner letzten großen Tour sind mittlerweile zwei Jahre vergangen und einiges hat sich verändert. Ende Juni habe ich diplomiert und das nenne ich einmal als Grund wieder eine Reise zu planen. Mein Roller läuft gerade gut und meine Lust am Fahren war größer denn je. Nun ist es bei mir so, dass ich ungern wo hin fahre, wo ich keinen Auftrag habe. Meine Strategie lautet: „Hast du was zu tun, bist du kein Tourist!“.
Die Schwester eines alten Freundes ist vor einigen Jahren nach Spanien gezogen und hat dort Familie gegründet. Somit war die Idee, ich fahre mit dem Roller nach Alicante, er fliegt nach und wir machen uns dort eine lustige Zeit. Wir wollten nach dem August in Spanien sein, die heißeste Zeit war vorbei und die Ferien auch zu Ende. Blöderweise ist das Zeitmanagement meines Kompagnons nicht immer so ideal wie meines und er ist als Lehrer angestellt. Ich war schon so spitz auf die Reise, dass ich mich bei den Spaniern ankündigen ließ und kurzerhand alleine fuhr. Mein Roller war im Winter serviciert worden und ist generell in dem Zustand, dass ich jederzeit überall hin fahren würde, Fluchtfahrzeugmentalität irgendwie. Somit konnte ich mich darauf konzentrieren, die Reisekasse zu füllen – Zeit war ja genügend vorhanden nach dem kürzlich bestandenen Universitätsabschluss. Die Tage vor der Abfahrt waren schon sehr merkwürdig. Ich wachte nachts auf und wollte nur mehr fahren. Ich mag die Zeit kurz vor dem Aufbruch gar nicht. Der Körper ist noch da, der Geist schon auf Reisen. Mich hätte es nicht weiter gewundert wenn ich plötzlich aufgesprungen wäre und abgedüst Richtung Süden. Als realistischer Starttermin kam das letzte Wochenende im August in Frage. In Triest war ein Rollertreffen und ich eigentlich noch nie bei so einer Sause anwesend.
Am Montag vor dem Wochenende machte ich mich leicht verkatert auf den Weg zu meinen Eltern, das Basislager im Voralpenland. Schon waren die Dinge am Laufen und auch die erste Entscheidung. Links oder rechts, Osten oder Westen, Triest oder Laverone. In den italienischen Alpen war ein weiteres Rollertreffen, Orsi delle Alpi S.C. hatte 25 Jähriges Jubiläum. Das liegt am Weg, dort fahr ich hin. Am Donnerstag dem 23. August um 9 Uhr morgens ging es ab mit der Post. Erstes Ziel war San Vito al Tagliamento. Federico, der mich schon zwei Jahre zuvor, als ich nach Griechenland unterwegs war, von der Straße aufgelesen hat, war wieder mein erster Gastgeber. Ich würde sagen, ab nun kann ich das als Tradition ansehen. In St. Vito war gerade ein lokales Zeltfest, es wurde viel gegrillt, Bier, Wein und Bingo gespielt. Spät wurde es nicht, wir hatten beide am nächsten Tag eine Mission. Ich habe mir noch am nächsten Morgen eine schöne Strecke nach Laverone zeigen lassen, Wasser aufgefüllt und ab ging es. Vom Flachland der Friaul wieder in Richtung Alpen wo ja dann der Bär los war. Eine schöne Strecke mit Tunnels, Stauseen, frischer Luft und wenig Verkehr brachten mich bis zum frühen Nachmittag ans Ziel. Dabei will ich kurz auf die Tunnels eingehen. Die Zebrastreifen, die durch die Beleuchtungskörper an der Tunnelröhre entstehen und meine eigene optische Wahrnehmung haben einen lustigen Nebeneffekt. Ich bekomme das Gefühl, ganz schnell rückwärts zu fahren. Ich schiebe das alles auf eine Art Stroboskopeffekt, der durch das Licht- und Schattenspiel entsteht, ich steh drauf! Einen ähnlichen Moment hatte ich Tage später aber auf einer geraden Landstraße. Der Wagen am Pannenstreifen auf der Gegenfahrbahn fuhr fast unmerklich aber mit Vollgas rückwärts von mir weg. Ich mit 80 km/h unterwegs und die Kiste auf der Nebenfahrbahn will einfach nicht näher kommen.
Jetzt aber wieder zurück zu den Alpen. Das erste und zweite Begrüßungsbier vom S.C. und die beiden netten Altöttinger neben mir am Tisch haben schnell das Abendprogramm eingeläutet. Es wurde ausgiebig gefeiert, die Nacht war kurz und der nächste Tag eher ruhig. Ein kurzer Ausflug zum Badesee war eine gute Abwechslung und am Abend spielte die Band, alles dieselben Leute die den Run organisierten, sehr sympathische Mädels mit engen aufgestülpten Jeans, Pagenschnitt und den dazugehörigen Jungs.
Den Abend habe ich diesmal kurz gehalten, ich wollte am Sonntag früh aufbrechen und die Leute haben gesagt: “Es wird Regen geben.“
Im Morgengrauen wurden die ersten Zelte abgebaut und für mich ging es Richtung Lago di garda. Aus dem Regen wurde nur Nebel und die ersten Kilometer bis kurz vor dem See waren echt schön zu fahren. Sonntage liebe ich zum Fahren, da werden Meter gemacht. Bis Brescia ging es für mich auch zügig weiter, dann hatte ich etwas Probleme mit meiner Navigation. Dieses Mal hatte ich mich dazu entschieden ein digitales Navi zu verwenden und keine Karten mehr, die Entscheidung waren Gewichtsersparnis und Kostengründe. Ich musste mich auch erst an das Navi gewöhnen, die Geräte hatte ich bisher vehement abgelehnt. Dazu gehört gesagt, wenn die Batterie im Gerät leer ist kann ich sie an der Bordbatterie meines Rollers laden und dann erst wieder verwenden. Somit habe ich Zyklen in denen ich mich nach Sonne, Wind und Straßenschilder richten muss. Ich wusste aber nicht mehr, außer dass ich nach Süd-Westen wollte. So habe ich mich dann anhand meiner inneren Karte, nicht ganz unrichtig, Richtung Meer bewegt. Ich wollte westlich von Genua an die Küste kommen und von dort weg nach Frankreich. Nach einer kurzen Jausenpause (Salami, Parmesan, Apfel und Brot) in der Cittadella di Alessandria war ich körperlich und auch geistig gestärkt.
Zum ersten Mal hatte ich wieder realisiert, dass ich als Reisender unterwegs war. Für mich das richtige Gefühl um unterwegs zu sein. Die nächsten Ortstafeln munterten mich auch sehr auf: Asti, Barolo, Muscatel. Ich bekam langsam Durst und die Sonne ging Richtung Westen. In den Hügeln des Piemonts hatte ich seit Laverone die erste Vespa mit schick gekleidetem Paar darauf gesehen. Sie telefonierten, für Italiener ungewöhnlich, parkend am Straßenrand. Zehn Kurven weiter das Gleiche in Blau. Also ich meine damit ein junges Paar, schick gekleidet am Straßenrand, nur die Vespa eben anders lackiert. Ich blieb stehen und fragte ob alles passt. Eigentlich dachte ich die gehören zusammen und haben sich irgendwie verfranst, so war das aber nicht. Heute war hier in der Gegend auch ein Rollertreffen und sie waren am Heimweg. Nach einem sehr netten Gespräch wurde mir noch ein Tipp für einen Campingplatz gegeben, der war nicht mehr weit. Der Weg dahin lag zwischen Pfirsichhainen und dementsprechend süß war auch der Duft, das zweite große Grinsen diesen Nachmittag. In Vergne hatte ich nun unter Haselnussstauden am Campingplatz mein, am Rollertreffen liebevoll getauftes, Dackelzelt aufgebaut. Ohne Gepäck bin ich nach einer Dusche nach La Morra gebraust, dort war gerade ein Weinfest, genannt Mangialonga, mit Karaokebühne am Dorfplatz, zu Ende.
Geschätzte acht Reisebusse wurden mit besoffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gefüllt. Der Film in meinem Kopf war sehr heiter bis schadenfreudig und die Busfahrer waren alles andere als die Gewinner des Tages. Die drei alten Dorf-Carabinieri regelten den Verkehr der Busse, die sich in alle Himmelsrichtungen auf ihren Weg machten, Prost dann. Ich knatterte zwischen den letzten wankenden Gestalten und den Kapperlständern ein kurzes Stück gegen die Einbahn zu dem Restaurant, dass mir vom Campingplatzbetreiber empfohlen wurde.
Dort war leider alles besetzt, wahrscheinlich auch aufgrund des Weinfestes. Ich bekam zum Glück doch den Platz vor der Haustür unter der Treppe. Nach etwa 20 Minuten war noch kein Kellner da, aber ein gut aufgelegtes italienisches Paar. Ich setzte mich aus Höflichkeit auf den noch kleineren Tisch daneben und überließ ihnen meinen Tisch. Ganz so ging das aber dann doch nicht, ich wurde zurück an den Tisch geholt und einige Minuten später waren wir vier Mädels und zwei Typen. Beim Essen bestellen wurden ich und mein Geschmack genau unter die Lupe genommen. Melone und Schinken als Primi ging den Blicken zu urteilen gar nicht und mit der Salsiccia waren alle einverstanden. Secondi war Lasagne, da kann ich nichts falsch machen. Lingua wäre aber die beste Wahl gewesen wie ich dann kosten durfte. Die Zunge zerging mir auf der Zunge und der Weißwein schwappte das Ganze in den Magen. Zur Salsiccia noch, sie wurde roh serviert, ähnlich wie Beef Tatar und am Teller ein kleines Häufchen Meersalz. Meer braucht es und mehr nicht. Die Rechnung wurde brüderlich und schwesterlich geteilt, ich hatte mich sofort in die Leute verliebt, besonders Lala war eine von der ganz feinen Sorte Mensch. Sie wollten noch mit mir am nächsten Abend was unternehmen doch ich war noch am Anfang meiner Reise und dementsprechend wollte ich Meter machen. Einige Tage später war mir aber sehr leid um den verlorenen Abend und ich hoffe, dass ich noch eine Antwort bekomme und in Wien besucht werde. In der Nacht wachte ich einmal mit einem Schrecken auf, etwas wollte in mein Zelt. Gut, es war nur ein Igel der sich im Mondlicht auf Beutezug machte. Ich habe wahrscheinlich besser gegessen als er.
Vergne – Französische Alpen im Hintergrund.
Am nächsten Morgen packte ich während ich meinen Guten-Morgen-Espresso kochte und wollte nach Frankreich. Die letzte Erhebung vor dem Mittelmeer war sehr angenehm zu fahren, alte kleine Dörfer entlang der Straße und dann die Abfahrt nach Imperia. Ich war am Mittelmeer.
Ab nun war die Navigation eher einfach. Blau gehört nach links, Grün gehört nach rechts. Die Küste entlang war alles hektisch. Viel Verkehr, Touristen, Geschwindigkeitshügeln und eine Stadt nach der anderen. Spätestens an der Côte d’Azur wusste ich, dass es anstrengend werden könnte, immer nur der Küste entlang zu fahren. Dazu kam nun auch, dass sich die Kupplung sehr schwer ziehen ließ. Das lag aber nur am Seilzug der sich mit der Zeit verschoben hatte und einen leichten Knick machte. Italien blieb hinter mir und ich war im dritten Land meiner Reise angekommen, Frankreich. Gleich über der Grenze überkam mich ein Hochgefühl, um mit den Franzosen etwas auf Augenhöhe zu kommen. Ein Junge auf seinem schwarzen Automatik-Roller begleitete mich die ersten Meter, Geschwindigkeitshügel – juhe, nächster Geschwindigkeitshügel – juhe, Gepäckträger vorne plötzlich weg. Ein Blick nach hinten aber da war er auch nicht. Noch am Spanngurt hängend schliff ich ihn einige Meter mit, fuhr vorsichtig rechts ran und kam wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Zwei Jausenäpfel hatten Schürfungen und wurden über die Straße verteilt zusammengerieben. Der Pfirsich erlitt schwere Quetschungen. Somit fing ich auch an, mir über intelligente Packsysteme für alte Roller Gedanken zu machen, die so genannten Toaster für das Beinschild sind nicht das Wahre und der schon drei Mal geschweißte Gepäckträger für hinten war auch etwas bescheiden. Weiter ging es nun gestärkt durch zwei halbe Äpfel und einen Pfirsichsmoothie. Monte Carlo, Monaco, Nice und Cannes werde ich vermutlich in Zukunft umfahren. Es ist zwar ganz nett, das einmal mit dem Roller gemacht zu haben, reisetechnisch aber leider die falsche Streckenwahl. Mein linker Arm wurde durch die strenge Kupplung ganz gut trainiert und ich hielt Ausschau nach einem Zweirad-Mechaniker, wo ich eine neue Seilzughülle bekommen könnte,um den komplett zu tauschen. Ungeschickterrweise sollte das aber noch ein paar Tage dauern bis ich in Gignac bei einem Mechaniker für Landwirtschaftsgeräte Ersatz bekommen würde. Mir war es auch fast egal. Der Küste entlang wurde mir langsam langweilig, der Verkehr war nicht unbedingt wenig und meine Stimmung auch eher leicht gestresst von den vielen Urlaubern. Ich will dazu sagen, dass ich ja zwischen Reisenden und Urlaubern einen Unterschied mache. Reisende haben kein bestimmtes Ziel und kein einzuhaltendes Zeitfenster, Urlauber schon. Der Tag ging langsam zu Ende und ich kehrte beim nächsten Campingplatz ein. Nach dem ich meine Füße ins Meer gesteckt hatte ging ich zurück um mich mit dem Seilzug der Kupplung zu beschäftigen, ich wollte hier auch nicht baden. Der ältere italienische Zeltnachbar, der mit seiner Gattin auf Urlaub war, sah mich in der Dämmerung am Roller schrauben, nutzte die Gunst der Stunde um sich von seiner Holden abzuseilen und kam mit einem Russenluster auf mich zu. Für diejenigen die so was nicht kennen, es handelt sich dabei um ein einfaches Stromkabel mit Stecker, Fassung und Glühbirne. Dankend nahm ich die Hilfe an, er war ein begnadeter Beleuchter, immer dort mit der Lampe wo ich das Licht brauche und ohne mir einen Schatten der eigenen Hand zu zaubern. Das muss gelernt sein, so was kann nicht jeder. Das Seil war neu geschmiert, die Hülle inspiziert, aber nichts Auffälliges gefunden, Kupplungszug kaum besser. Versuch macht nicht immer klug.
Am nächsten Tag entschied ich mich ganz klar für das Landesinnere. Weniger Geschwindigkeitshügel, weniger Urlauber, weniger Schalten und mehr Landstraße. Das Navi spielte mir nun zum zweiten Mal einen Streich. Wie auch schon im Piemont war ich für einige Kilometer auf Schotterstraßen unterwegs. Ich fühle mich da jetzt nicht besonders unwohl, ist eben wie beim Beleuchten, gelernt ist gelernt. Die Strecke war wieder sehr schön zu fahren, Pinienwäldern, Äcker, Châteaux, dann trüber Himmel, die ersten Regentropfen und geschätzte 50km richtig heftiger Regen. Also rein in den Gummioverall, Füße in den toten Winkel vom Beinschild und schon konnten nur mehr die Hände nass werden. Feucht aber fröhlich ging es so dahin, ich fuhr nach Gefühl, mein Navi mag keinen Regen. Ich hatte ein gebrauchtes altes Modell für das Auto gekauft und somit war Regenpause für das kleine Teil. Als ich dann aber nicht mehr ganz weiter wusste ging es kurz auf die Schnellstraße oder Autobahn und ich fuhr bei der nächsten Gelegenheit ab, blieb bei einem Einkaufszentrum stehen und der Regen hörte auf. Feine Sache, ich genehmigte mir einen Apfel, das Navi war wieder aufgeladen und sagte mir die ungefähre Richtung nach Marseille. Ich fand eine wunderbare und wenig befahrene Strecke mit schönen Kurven, die sich zwischen saftigen Büschen und Bäumen auf ein Plateau, mit Pinienwäldern übersät, hinaufzog.
Ich war vor einigen Jahren schon einmal für zwei Wochen als artist in residence in Marseille und wollte dort unbedingt kurz Zwischenstopp machen. Der afrikanische Einfluss machte die Stadt sehr charmant, ich liebe den algerischen Markt, Court Julian, den alten Hafen und Pastis. Leider spürte ich aber sofort den Unterschied und die Veränderungen der letzten Jahre. Jugendliche und Emigranten ohne jegliche Perspektiven machen die Stadt unsicher, der Frust ist spürbar und private Guards und Polizei gehen in Gruppen Streife. Wer gerade die Nachrichten verfolgt, hat vielleicht gelesen, dass auch die Polizei in diesen Krieg involviert ist, den Dealern Drogen und Geld abknöpft, um sich selber zu bereichern.
Ich trank meinen Kaffee, wurde am Court Julian von ein paar Marseillern angesprochen weil ich mit dem Roller und dem Kennzeichen da jetzt nicht ganz hin passte. Sie waren angenehm überrascht als ich ihnen mein Bild von Marseille schilderte, dass ich vor einigen Jahren schon hier um die Ecke wohnte, aber leider finde, dass nichts mehr so ist wie früher. Danach fuhr ich weiter zum alten Hafen und machte mich Richtung Marignane auf den Weg. Ich wollte damals schon unbedingt wissen was sich hinter dieser Ecke verbirgt.
Ab jetzt wurde es immer bizarrer. Vom Industriehafen führte es weiter über eine Anhöhe vorbei an einem See, der vom Meer gespeist wurde. Kein Urlauber mehr, viele Lastwägen, die ersten Raffinerien kamen. Ich habe eine große Leidenschaft für Industriebauten und Industriezonen, die eigene Atmosphäre dieser Unorte wirkt stark auf mich.
Hier führte es aber schon fast zu einer Überreizung. Schnurgerade Straßen, Schwertransporte, bizarre flache Landschaft mit Ladekränen, brennende Raffinerieschlote fern am Horizont und meinen ersten platten Reifen. Der hat sich aber recht gut ergeben, da ich gerade von den schwer befahrenen Straßen weg war, Fahrverbot für LKW. Ich tauschte den Hinterreifen, das kann alleine schon ganz schön zwickig werden. Etwas ungeschickt löste ich damit aber eine Art Kettenreaktion aus. Beim Aufstecken des neuen Reifens hab ich blöderweise die Blechkante des Kotflügels seitlich in den Reifen gestochen als mir der Roller hinten auskam. Das ganze Gewicht über die Spitze auf den Reifen. Dadurch wurde aber nicht der Mantel sondern nur der Schlauch leicht perforiert. In den nächsten Tagen durfte ich dann mehrfach Reifen wechseln, Schlauch kleben und wieder Kleben. Reserveschlauch hatte ich einen mit, der wurde am Abend getauscht, da sich der eingefahrene Splint durch beide Schlauchwände gebohrt hat. Weitere Ersatzschläuche bekam ich erst in Spanien. Nicht weil es in Frankreich keine gab, ich war aber noch der Hoffnung dass ich die kommenden Platten picken kann. Die Industriezone von Fos sur Mer geht nahtlos in das Naturschutzgebiet Camargue über. Wie mir schon ein Eichhörnchenfreund am Weg flüsterte, Gegensätze ziehen sich an. Gut, ganz so nahtlos war der Übergang nicht, zu meiner Überraschung durfte ich die Rhône mit einem kleinen Fährfloß überqueren. Der Fahrer in seinem Pritschenwagen war von meinem Auftritt sichtlich begeistert. Wieder ein Daumen-Hoch mehr.
Die Straßen waren wieder schnurgerade, flach und es ging Vollgas dahin nach Arles. Zum ersten Mal habe ich den Tank bis zum letzten Tropfen leer gefahren. Der Motor meldete sich nicht mit dem gewohnten Absterben, sondern mit einem Aufjaulen auf höchste Drehzahl. Ich konnte aber nicht einmal durch Abschalten der Zündung den Motor abstellen. Kurz darauf ging er von selber aus. Mit einem Viertelliter in Österreich gezapftem Benzin aus meinem kleinen Reservekanister ging es weiter zur nächsten Tankstelle. Für diesen gewollten Versuch des Leerfahrens entschuldige ich mich bei meinem Roller, das war ein klarer Fall von „Jugend forscht“. Von Arles hatte ich bisher nur gehört, einmal durfte ich an einer Fotoprojektion im Zuge des Rencontres d’Arles, einem Festival für Künstlerische Fotografie teilnehmen, konnte aber damals nicht hinfahren. Das Stadtbild selber wird von der römischen Architektur, einem Kolosseum und den zahlreichen Gelsen geprägt. Ich habe dann in einer netten kleinen Kneipe einen guten Salat gegessen und etwas getrunken. Der junge Besitzer war nett und ganz untypisch für Franzosen. Wir haben eine Weile geplaudert, Gelsen gibt es Juli und August permanent. Schrecklich war es auch am Campingplatz. Ich durfte ja meinen platten Reifen mit dem einen vorhandenen Reserveschlauch neu bestücken. Das ganze Spiel von einem Schwarm gieriger Gelsen umgeben. Meine holländischen Zeltnachbarn haben mich wahrlich mitleidig beobachtet und sich selber mit Gelsen-Ex für den Abend eingesprüht. Das war aber gar keine blöde Idee. Ich hatte zwar keines, aber dafür 500ml besten Bremsenreiniger unter Hochdruck. Also das war nun meine neue Geheimwaffe. Ab und zu eine ordentliche Wolke Bremsenreiniger um mich herum in die Luft gejagt nahm den Viechern den Auftrieb. Meinen Jagderfolg begoss ich mit einigen Gläsern Richard und ging zufrieden schlafen.
Am nächsten Morgen stand eine kleine ältere Dame neben mir als ich meinen Guten-Morgen-Espresso kochte und mein Zelt abbaute. Sie war auch mit dem Roller unterwegs. Seit dem sie aus den USA nach Frankreich gezogen war, machte sie immer Urlaub mit ihrem Roller. Zwar nur 50ccm und Automatik, Anreise mit dem Zug aber die Idee war grundsätzlich ähnlich. Offensichtlich war sie sehr erfreut über mein Antreffen, das erste Mal in ihrem Leben, dass sie jemanden traf der auch mit dem Roller reist. Gemeinsam hatten wir auch, dass unser erstes Moped eine Velosolex war. Die nette Dame war vom Geiste her noch so jung geblieben, wie ich es mir selber einmal wünsche. Wir verabschiedeten uns und mein Ziel für heute war Fred Feu in Saint Jean de Fos. Schon Monate zuvor, als ich wusste, dass ich nach Alicante fahren würde, ergab sich über einen genialen Menschen, der mich bei meinem Diplom betreute, dass in der Nähe von Montpellier ein Künstlerkollektiv besuchen könnte. Dort wurde mir Unterkunft angeboten und ich blieb für drei Nächte. Die alte Fabrik war früher einmal eine Töpferei, danach Konservenfabrik oder umgekehrt. Im Erdgeschoß hatte Alain sein Lager, er sammelte jeden undenkbaren Krempel, verwahrte Theaterrequisiten und renovierte oder baute auch welche.
Er war eine ganze eigene Pflanze und ein großer Liebhaber von Sciencefiction. Ich mochte ihn, er mich auch und half mir mit dem Problem an meiner Kupplung. Am zweiten Tag fuhren wir nach Gignac, er kaufte die neuen Fantasy Comics und brachte mich dann zu einem Landmaschinenmechaniker, wo ich meine 3 Meter Seilzughülle bekam. Jeder hatte nun seine Beschäftigung für den Nachmittag. Beim Abzwicken eines Kabelbinders ging dann die kleine Schere meines Leatherman zu Bruch. Der kleine Hebel lag da, die Klinge sprang davon und war nicht mehr gesehen. Jetzt habe ich ein kleines Messer und ein großes Messer, auch nicht so übel. In der alten Fabrik waren auch noch andere Unikate an der Arbeit. Fred war ein Spezialist für besonders Merkwürdiges. Ich kann es in wenigen Worten nicht genau beschreiben aber er leitet das Musée Vivant du Roman d’Aventures und das Centre de l’imaginaire scientifique et technique du coeur d’Hérault. Zwei Vereine die sich mit dem Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft beschäftigt, aber immer auch ein bisschen was von Jules Verne dabei. Es arbeiten noch weiter nette Menschen mit ihm. In dem großen Areal sind auch ein Tischler und ein Glasbläser mit ihren Werkstätten ansässig.
Glasbläser bei der Demonstration.
Neben der kleinen Ortschaft fließt ein Fluss unter der Pont du Diable, eine 18m hohe Brücke von der sich die ortsansässigen Jugendlichen runterwerfen. Nicht wegen des ersten Liebeskummers, sondern um es den Touristen und Reisenden wie mir zu zeigen. Entlang des Flusses gibt es Felsen in beliebiger Höhe, ich glaube mehr als 5-7m hätte ich nicht bewältigen wollen.
Ich ging nun jeden Morgen schwimmen und las das Buch „Herr Lehmann“. Es war gut, nach einigen Tagen einmal eine Pause und nur kleine Ausflüge zu machen. Alain schickte mich noch auf ein Plateau etwas nördlich und ich muss sagen, der Ausblick war gewaltig.
Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben die Pyrenäen. Für mich war es wieder Zeit, eine Tagesreise noch, bis ich in Spanien sein konnte. Ich verabschiedete mich und versprach wieder zu kommen, wenn ich zurück fahren würde. Nur wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, wo mich der Wind hin bläst.
Mein Ziel war weiterzukommen und ich probierte flott dahin zu rollern. Mir machte aber der plötzlich aufkommende Wind und die starken Böen das Leben schwer. Gezählte drei Mal schrie ich laut unter meinem Helm auf, wenn eine Böe überraschend kam um den Roller seitlich einen halben Meter zu verschieben. Umgekehrt auch mit der Schräglage gegen den Wind, die ich zu spüren bekam, als der kurzfristig entschied, die Richtung zu wechseln. Lieber fahre ich einen Tag lang durch Regen und Kälte, als einen Nachmittag hier unter diesen Bedingungen. Im Nachhinein wurde mir aber gesagt, dass es hier in der Region zwischen Narbonne und Perpignan permanent so windig ist. Gut, dass ich mich nicht entschieden habe auf den nächsten Tag zu warten, an dem es vielleicht nicht so windig sein würde. Bald war ich wieder am Mittelmeer und die Freude schon groß, Spanien vor und Frankreich hinter mir zu haben. Die Hohen Pyrenäen hätte ich zwar gerne gesehen aber die hebe ich mir für die Rückfahrt auf. Wie ich nun besser Bescheid weiß, für das nächste Mal mit dem Roller. Exakt zwei Kilometer nachdem ich die Grenze zu Spanien passiert hatte, war mein Kilometerstand auf 20.000km gesprungen. Ich sah das als gutes Zeichen und wusste somit immer wie viele Kilometer ich nun auf spanischen Boden hinter mir gelassen hatte.
Die erste Nacht verbrachte ich in Cadaqués im Bezirk Girona. Ein ehemaliges Fischerdorf, nun für Urlauber. Dementsprechend war auch der Campingplatz mit fast 30€ der teuerste auf meiner ganzen Reise. Die nette Dame grinste mich noch freundlich an und gab mir falsch zurück. Ich grinste ebenso falsch zurück und bekam richtig raus. Im Hafen fand ich eine kleine Bar mit guter Weinkarte und Blick auf das Meer. Ich machte eine kleine Reise mit drei Achterl durch Spanien und fuhr zurück zum Campingplatz. Ich pickte auch wieder einen Reifen. Offensichtlich hat der Kleber aber mit der eher geringen Menge an Alkohol nicht gut reagiert und der gepickte Reservereifen war kurze Zeit später wieder platt.
Am folgenden Tag wollte ich sehen wie weit ich komme, hatte jetzt kein konkretes Ziel, außer ein paar Tipps, die ich in von Freds Gattin, einer Spanierin, bekommen hatte. Das war aber alles südlich von Alicante und somit eher uninteressant. Sie hat mir das Ganze aber sehr schmackhaft beschrieben. Ich habe mich entschlossen, dem Meer einmal den Rücken zuzukehren und bin ins Land hinein gefahren. Für mich war die Landschaft ganz was Neues. Viel Steine, Sand und Büsche, Kakteen hier und da, es gab für mich schon ganz viel zu entdecken. Die karge Landschaft mit ihren erodierten Böden gefiel mir. Ich bin weiter gerollert, der wenige Verkehr hat mich dann auf die Idee gebracht, dass Sonntag sein muss. Geschäfte, z.B. Zweirad-Mechaniker oder Reifenshops haben bei mir generell immer geschlossen gehabt. Ich hatte auch schon das erste Mal Barcelona angeschrieben gesehen und das machte mich sehr heiter. Langsam kam ich wieder an die Küste, die Straße verlief gerade aus und fahren war nur mehr Mittel zum Zweck um weiter kommen. Barcelona habe ich über die Industriezone angefahren.
Inmitten einer großen China-Town. Links und rechts in Lagerhallen waren die Läden mit vielem bunten Plastikschnickschnack, Mode und allem möglichen Zeug. Durch die Wohnsiedlungen war es fast wie in einer Geisterstadt. Außer dem Linienbus und ein paar Motorrollern kein weiterer Verkehr. Sonntag eben. Ich wollte mir eine Tapas-Bar zum Mittagessen suchen, habe da aber so einen Tick. Ich kann schwer stehenbleiben. Da oder dort etwas gesehen und schon war ich wieder daran vorbei. Wenn man lange unterwegs ist und viel fährt, wird das zu einer eigenen Art von Reflex. Kurz nach Barcelona war ich dann aber in einem ruhigen Vorort und hatte eine Bar mit gutem Parkplatz gleich neben dem Tisch gefunden. Rollerreisen sind etwas anders und das Gepäck das ich vorne und hinten gepackt habe, geht nicht so schnell unter den Arm um einmal die Rambla rauf und runter zu schlendern. Dafür habe ich jetzt einige Plätze in Europa gesehen wo ich gerne einmal für einige Tage regionalen Urlaub machen möchte, so mit Freunden und wenigen Distanzen. Nach einer Portion Patatas bravas mit hellrosa Sauce und in Öl schwimmender Champignons ging die Fahrt weiter, ich wusste es würden nicht mehr allzu viel Kilometer werden, es war Nachmittag als ich zu Mittag aß. Wie vorhin erwähnt hatte ich nicht das Bedürfnis in jede größere Stadt zu fahren. Als ich aber am nächsten Tag an Peñíscola vorbei fuhr, muss ich aber sagen, das hat mich alleine vom Namen her schon neugierig gemacht. Ich glaube dabei stellt sich aber jeder etwas anders vor.
Korrekt an der Autobahn vorbei navigiert.
So ein bisschen wurde die Fahrt aber eintönig, allerdings hatte ich mir ausgerechnet, dass ich am selben Abend noch bei meinen Freunden bei Alicante sein kann. Das war mein Plan und dem wurde nachgejagt. Meinen Zwischenstopp habe ich in Valencia gemacht und ich bin ab nun Fan dieser Stadt.
Sie kommt auf die Liste der Städtereisen und regionalen Urlaubsziele. Auf der Landkarte habe ich südlich von Valencia noch diese grüne Fläche gesehen, da wollte ich durch und dann in die Berge, um so nach Sella zu kommen. Die grüne Fläche waren dann Reisfelder und die Straßen langweilig gerade. Das Naturschutzgebiet mit Wohnblöcken verbaut und der Verkehr nicht ohne. Griff ins Klo. So bald allerdings die Berge anfingen war die Welt schon wieder anders. Nette kleine Ortschaften, wo normale Menschen in normalen Häusern wohnen und die Straßen hatten endlich wieder Kurven. Es ging bergauf. Nach einigen Kilometern waren wieder Bäume zwischen den Sträuchern, ein Stausee hier, ein paar Serpentinen da.
Ich war kurz vor der Ankunft, nur mehr wenige Kilometer. Die Straßen wurden enger und zum Abhang hin begrenzten weiß gekalkte Betonblöcke die Straße. Mein Navi war gefragt, ich stand an einer T-Kreuzung. Links muss ich nicht hin, geradeaus militärisches Sperrgebiet mit einer Schotterstraße und rechts der Weg in die nächst größere Stadt. Klar wollte mich das Navi über die Schotterstraße in die graue Zone schicken, in der keine Straßen eingezeichnet waren. Darauf falle ich nicht rein, das hatten wir schon zwei- oder mehrmal. Da muss ich jetzt noch einwerfen, jeder wird nun denken, ruf doch an, wenn du schon kurz vor der Haustüre stehst. Mein Telefon war leider stromlos und die geplante Ladung über die Bordbatterie war nicht möglich. Telefon zeigt an: „Status Laden“. Telefon lädt aber nicht. Mir war es dann eigentlich egal, ich war hin und weg von der Bergstraße mit dem fast neuen teerschwarzen Asphalt und blütenweißer Linierung. Zum Hang hin wieder die schönen Quader in Kalk.
Mir war klar, da musste mehr dahinter sein. Weshalb sollte gerade die eine Straße so anders sein als alle anderen hier in der Region. Rallye Costa Blanca! Ich befand mich auf einem Streckenabschnitt der bekannten Rallye, die aber aus finanziellen Gründen seit letztem Jahr nicht mehr stattfindet. Das liegt an den spürbaren Folgen der Krise.
Mit einem Grinsen im Gesicht kurvte ich in das Tal hinunter, noch etwas von den Satellitenaufnahmen der Gegend im Kopf und bei einer möglichen Abzweigung stoppte ich. Ein Zeichen. Ein totes Eichkätzchen pflastert meinen Weg. Das muss es sein, ich hatte schon mehrere merkwürdige Erlebnisse mit Eichkätzchen gehabt. Ob ihr es glauben wollt oder nicht, zwei haben sich sogar mit einem Twinni duelliert. Nach einigen Kilometern Schlaglochasphalt war ich an einer Kurve mit Häuserkonstellation, die dem entsprach was ich mir eingeprägt hatte. Im Hintergrund am Bergrücken die geheime Militärbasis mit großer weißer Radarkugel und Eifel-Funkturm in Rot-Weiß. Hinter einer Mauer um die kleine Finca kam ein schwarzhaariger Schopf mit dunklen Stubenfliegensonnenbrillen zum Vorschein. Den Typen kenne ich, da gehöre ich hin.
Die nächsten 12 Tage waren Urlaub, Essen, Rotwein, Klettern, Tümpeln in den kühlen Quellen und die Sache mit dem Licht. Wie soll ich sagen, der zweifelhafte Titel dieses Reiseberichts wird nun aufgelöst. Meine Freunde hatten das Haus gekauft, das in den 90ern von Deutschen nach deren Gründlichkeit gebaut wurde. Solide Wände, Gas, Holzheizung, Notstromaggregat, Solarzellen, etc. Zum Teil aber weit überdimensioniert für ein einfaches und gemütliches Leben am Land. Nach dem ich erfahren hatte, dass nur das Licht in der Küche geht und irgendwo eine Steckdose, habe ich kurz eingeworfen, dass ich eigentlich Elektriker gelernt habe bevor ich die Schienen gewechselt habe. Zum ersten Mal aber hatte ich nun das Gefühl, ich kann mit meinem Wissen hier wirklich was machen. Am nächsten Morgen flog alles raus, Lampen, Schalter, Steckdosen und der Sicherungskasten. Die Kabel blieben, die waren gründlich eingemauert und wurden Draht für Draht ausgepiepst, identifiziert und markiert. Schnell war ein Verdrahtungskonzept gefunden, eine zweite Zuleitung half die Räume auf mehrere Stromkreise aufzuteilen. Soll ja nicht alles dunkel sein wenn einmal der Funke fliegt. Ich entwickelte eine gewisse Motivation und die Eigendynamik, wie ich sie gerne habe, wenn ich etwas angehe. Ein paar Tage später kamen die Freunde aus dem Nachbarort, um sich tatsächlich das Licht anzusehen, dass ich gebracht hatte. Ich kam mir fast ein bisschen vor wie die Heilige Lucia, die Lichtbringerin. Nur mit Drei-Tages-Bart, als Urlaubsraucher und abends Weintrinker. Alle waren froh, jeden Tag war etwas mehr erledigt und gegen Ende meines Aufenthalts war auch die Solar-Stromversorgung erneuert. Ich muss dazu sagen, ich wollte früher nie wo hin auf Urlaub fahren, wo ich nicht etwas zu tun hatte. Nicht das mir langweilig würde, aber ich fühle mich dann weniger als Tourist, der nichts zu tun hat, außer durch die Stadt zu schlapfen. Ich finde dieses Konzept super und würde gerne mehr Reisen mit Arbeit verbinden. Gegen freie Kost und Logis bringe ich die entsprechende Leistung. In der Zwischenzeit hatte sich aber auch etwas mehr aufgetan als nur das Licht zu bringen. Nichtsahnend begleitete ich die örtliche Kapelle zum Moros y Cristianos. Eine Feier, bei der der Kampf zwischen Mauren und Christen nachempfunden wird. Ich wollte mir das Fest nur kurz ansehen und irgendwo ein Cerveza trinken. Zum Schluss half ich meinem Kompagnon die Trommeln ziehen.
Nachdem mir im Laufe meiner Reise die Menschen, die ich getroffen habe, vorgeschwärmt haben, wie schön Andalusien ist und ich eigentlich nicht noch einmal denselben Weg zurück fahren wollte, war es Zeit für einen Plan. Entweder über die Hohen Pyrenäen und die französischen Alpen zurück oder… kurz ins Internet.
Schnell habe ich das gefunden, was ich wissen wollte. Einmal in der Woche fährt eine italienische Reederei zwischen Tanger und Livorno. Also auf nach Marokko, da wollte ich schon früher gerne hin fahren. Unter dem Motto „Flucht nach vorne“ war es Zeit für ein Zeichen. Der Wind zog auf, es würde bald zu regnen beginnen und hinter mir die Sintflut. Das war im wahrsten Sinne des Wortes so. Als ich in Tanger im Hotelzimmer einmal den Fernseher angeworfen hatte, sah ich die Überschwemmungen nach dem regenlosen Sommer in Spanien.
Früh am Morgen brach ich auf, die Verabschiedung war angenehm kurz und wird meist überbewertet, da waren wir uns einig. Nach 12 Tagen Pause war ich etwas aus der Übung, ich fuhr außer zum Baden nur ein paar Mal die Rallyestrecke zum Spaß auf und ab. Der Weg führte mich ins Landesinnere an den Touristenhochburgen Benidorm und Alicante vorbei. Ich hatte genug vom Meer, ich wollte fahren. Es ging an riesigen Steinbrüchen vorbei, das Land wurde schlagartig zur Steppe.
Wenig Büsche, viele Kakteen, ab und zu Felder, aber die wurden angelegt und bewässert. Eines dieser Felder kam mir besonders nahe. Nach einigen Kilometern auf der Autobahn wollte ich runter, ich war müde und wie gesagt, die Kondition war nicht ganz da. An einer Serviceausfahrt nahm ich den asphaltierten Feldweg bis nach 5km eine Bundesstraße kommen sollte. Eine Kurve die eher eckig als rund war und die Kombination mit meterhohem Schilf am Rand und Sand auf der Straße waren für 30km/h und etwas langsame Reaktion zu viel des Guten. Brems – Zack – Stop – Flug. In derselben Reihenfolge lag ich da, wie ein Reiter vom Pferd, das abrupt stehen bleibt. Es war kein echter Sturz, aber doch ein bisschen wie. Die Angie hatte eine Delle aber bremste meine Fahrt an einem kleinen betonierten Bewässerungskanal. Der Bremshebel hatte vor Schreck seine Kugel, wie eine Eidechse seine Schwanzspitze, abgeworfen. Aber wirklich groß zum Staunen hat mich die Klinge der Schere vom Leatherman gebracht, die ich in Saint Jean de Fos bei Alain in der Halle von meinem so genannten Multifunktionsmesser gebrochen habe. Sie lag da zwischen meinen Beinen im trockenen Bewässerungskanal. Ganz perplex habe ich mir kurz gedacht, da ist jemand das Gleiche passiert wie mir und er hat nun auch eine kleine Klinge statt der Schere am Leatherman. Blödsinn, die Hitze macht mich wirr, die Klinge ist bloß so weit geflogen, dass sie jetzt hier liegt. Das muss es sein und nicht anders. Ich sortierte mich und hob den Roller auf die Straße, habe dabei aber leider vergessen, ein Foto für die Nachwelt zu machen. Hoffentlich bekomme ich auch nie wieder eine Chance dafür. Mit einem geistigen Reset ging es weiter, vorsichtiger als bisher und bei der nächsten Tankstelle Benzin für den Roller, Luft für den Reifen und viel Wasser für mich. Das ich kurz nach Abfahrt von meinen Freunden den Reifen wechseln musste war fast klar, ich hatte ihn ja kurz zuvor gepickt. Ich schwor mir, heute bekomme ich noch neue Schläuche. Auf der Suche hatte ich wieder zahlreiche Pneushops abgeklappert, aber keiner hat was für Rollerreifen. Ein netter Kerl machte gerade seinen Laden zu und fuhr mit seinem Auto vor. Er kennt da einen Zweirad-Mechaniker der sicher weiter weiß. Es waren nur ein paar Kilometer bis zu der Werkstatt und der ältere Herr kam aus seinem Laden raus und fragte mich was ich will. Ich kein Spanisch, er kein Englisch. Auf jeden Fall war klar, dass er jetzt hungrig ist und erst Siesta macht, in zwei Stunden ist er wieder da, dann hilft er mir gerne weiter. Danke und auf Wiedersehen. Leute, es ist wirklich gar nicht so einfach einen 10“ Schlauch aufzutreiben, wie man glaubt. Mein Weg führte mich weiter nach Lorca. An der Ortseinfahrt war ein Zweirad-Händler und ich bremste mich ein. Der junge Besitzer sprach kein schlechtes Englisch und war von meinem Roller begeistert. Er hatte auch ein paar spanische Motovespa zur Reparatur da, der hat sicher zwei läppische Schläuche für mich. Er ging ins Lager, kam zurück und sagte mir, dass die zwei letzten Schläuche in dem Roller da vorne verbaut wurden. Er hat keine mehr. Mein Gesichtsausdruck war verständlicher als jede Sprache der Welt. Er ging zum Telefon und rief einen Kollegen an. Ja, der hat zwei im Laden und meinte die hat doch sowieso jeder lagernd, ist ja Standard. Mir soll es recht sein, ich hol sie dort. Dar war aber nicht möglich, der Chef ging selber zu Fuß und sagte, er ist in 10 Minuten wieder da. Gut, ich hab Zeit zum Rasten, inspizierte den Laden und die Motorräder und sah die in Englisch geschriebenen Ausdrucke an der Wand: „For orders we charge 50% or the Price.“ und „Pay in cash only.“ Ja klar, dachte ich mir, das muss ja jetzt so kommen. Mir war es dann auch schon egal und ich dachte nicht weiter darüber nach. Der dynamische Ladenbesitzer kam nach 35 Minuten wieder mit dem Auto. Seine junge Tochter stieg mit aus und hatte zwei neue Schläuche in der Hand. Ich wollte zahlen und der Mann meinte noch, die 50% lassen wir jetzt einmal und es macht 25€. Gute Taktik, er verdient immer noch was mit und ich habe das Gefühl nur die Hälfte zu zahlen. Mit den neuen Gummis im Gepäck suchte ich den nächsten Campingplatz auf, wechselte einen Schlauch, tauschte wegen dem Profil den Reifen von vorne mit dem von hinten und hatte noch einen Schlauch auf Reserve. Der nette Zeltnachbar lud mich noch auf zwei Dosen Bier ein, wir plauderten noch eine Weile und zur Sicherheit schenkte er mir noch eine Dose Pannenspray für den Reifen. Wenn du den mi hast, brauchst du ihn sowieso nicht. Das war ein gutes Zeichen. Bis zu meiner Heimkehr in Wien musste ich kein einziges Mal mehr an die Reifen denken.
Am Morgen ging es wieder sehr früh weiter und an diesem Tag kamen ein paar wirklich interessante Flecken Erde. Nach einigen Kilometer Küstenstraße wählte ich meine Route durch das Landesinnere und wollte nach Cabo de Gata.
Da soll es nett sein wurde mir gesagt. Ich wollte nun sowieso langsamer werden und überall, wo ich blieb, noch mindestens eine Nacht anhängen. Die Straßen führten mich in eine mir fremde, wüstenähnliche Welt. Steinige Hügel, Kakteen und wenige Palmen, teilweise Sandstraßen und das alles durch ein Tal bis an dessen Ende und den Bergrücken über Serpentinen hinauf.
Bei der Abfahrt machten sich im Flachen zum Meer hin schon die ersten Gewächshäuser bemerkbar. Ein dumpfes Gefühl überkam mich und meine Gedanken waren irgendwo zwischen Ernährungsphilosophie und Chefsalat.
Am Meer angekommen parkte ich meinen Roller, ging 20m nach vorne auf den Strand und drehte gleich wieder um. Ein kilometerlanger Sandstrand bis nach Almeria, wo sich mehr oder weniger dicht Menschen aneinander reihten. Nicht das, was ich suchte. Nach Tapas und Bier sattelte ich wieder auf und machte mich weiter auf den Weg. Langsam wäre ja gut aber die Gegend muss schon passen. An einem der Kreisverkehre begegnete ich drei Vespafahrern, sie waren aber unterwegs zum Strand, wo ich gerade her kam. Nach kurzem Smalltalk und einem Foto trennten wir uns. Das Foto ist dann zufällig in Wien über Faceb00k bei einem Kollegen aufgetaucht. Was für eine kleine Welt. Ich nahm die Zügel in die Hand und ließ Almeria hinter mir, das Navi hatte eine gerade gut fahrbare Strecke geplant. Irgendwann waren links und rechts von mir nur mehr Plastikfoliengewächshäuser. Enge Straßen, afrikanische Gastarbeiter auf Fahrrädern und eine Kreuzung wie die andere. Als einzige wirkliche Orientierung dienten mir die Berge der Sierra Nevada. Nachdem das Labyrinth aus Plastik nicht zu Enden ging, war der einzige Ausweg wie schon so oft, ab in die Berge. Nach einer Stunde und auf halber Höhe sah ich zurück Richtung Meer. Unter mir eine riesige Fläche an Gewächshäusern und irgendwo dazwischen war ich herumgeirrt. Ich hatte wieder ein gutes Gefühl in mir, die Sierra Nevada zog mich in ihren Bann. Kilometerlange kurvige Strecken durch Nebentäler, wenig Verkehr und nur ab und zu ein kleines Dorf mit weiß gestrichenen Häusern. Es wurde langsam Abend und ich fand auch einen guten Campingplatz in Órgiva. Kurz im Pool drei Längen geschwommen, Gepäck abgeladen und Zelt aufgebaut. In der kleinen Stadt war gerade eine Hochzeit im Gange und ich beobachtete das ganze Treiben von der Bar aus, gönnte mir ein Bier und einen Teller Jamón Serrano. Gestärkt ging es zurück ins Dackelzelt.
Am nächsten Tag waren es nur mehr wenige Kilometer nach Granada. Dort hinzufahren war schon wieder eine heile Weilt. Kleine Dörfer, die sich dem Tourismus verschrieben hatten und Straßen an den steilen Hängen entlang. In Granada angekommen startete ich eine Schnitzeljagd von einer Bar zur anderen, trank viel Kaffee und aß Tapas. Hier ist die Hochburg der Tapas. Zu jedem Bier gibt es eine Kleinigkeit zu Essen. Da ist man nach dem vierten satt. Gestärkt wollte ich nun Richtung Sierra Nevada. Schnell war ich aus der Stadt draußen, es gibt kaum Industrie herum.
An einem fast leeren Stausee vorbei zog es mich immer weiter ins Tal und Richtung Himmel.
Eine Ortschaft später fand ich Campingplätze angeschrieben. 5km und 15km. Ich entschied mich richtig für den zweiten Platz und war bald am Ende einer langen Bergstraße. Es war ein Sonntag, ich fuhr durch das offene Tor und eine junge Großfamilie und ein Haufen Kinder begrüßten mich freundlich. Die erste Frage war nicht nach dem Woher oder Warum, sondern ob ich hungrig sei. Drinnen wird gerade gegessen. Freundlich nahm ich die Einladung an und ließ mir Blutwurst in Paradeissauce mit Reis, Schwammerl und Bier gut schmecken. In der Zwischenzeit wurde mir erklärt, dass der Campingplatz nun vor einem Jahr von ihnen übernommen wurde, sie hinten Tiere haben und Gemüse anbauen. Es gibt eine kleine Schule und noch weitere Gebäude am Grundstück verteilt. Ich sollte einen Euro pro Nacht zahlen, kann mir aber auch gerne den Bungalow nehmen wenn ich mag, ich bin zurzeit der einzige Gast. Ich nahm das Angebot sehr gerne an und bot meine Hilfe als Elektriker an. Hier war aber nichts zu tun und war auf Abruf gerne bereit, jemanden unter die Arme zu greifen. Nach dem Essen wurde ich gleich mitgenommen um das neue Pferd zu besichtigen. Eine der Schwestern bekam es von der Familie geschenkt und es war noch beim Züchter. Mit zwei kleinen und einem großen Wagen voll mit Kindern und Erwachsenen ging es sehr enge Bergstraßen weiter hinauf auf den Berg. Die Sonne war schon wieder sehr nahe am Horizont und die Stimmung einmalig.
Ein toller Einstieg für den ersten Abend. Zurück im Campingplatz waren da auch zwei neue Gäste, ein junges Paar, Maschinenbaustudenten, mit ihrem VW T3. Wir hatten quasi ein ähnliches Reisekonzept, nur war mir noch mehr Zeit geblieben. Sie waren beide von der Gastfreundschaft verblüfft und fast so überwältigt wie ich. Für den nächsten Tag planten wir einen Ausflug auf die Sierra Nevada, die auf uns herab blickte. Ohne Gepäck und mit gut eingestelltem Vergaser ging es los. Ich voran und der T3 hinter mir nach. Die 1500 Höhenmeter waren ein wahres Vergnügen. Kaum Verkehr, die Luft immer dünner, der Motor sehr agil und ich mit einem breiten Grinsen unter dem Helm. Leider war ab dem Parkplatz auf 2500m Schluss, ab hier nur mehr Shuttlebus und der ging Montagmorgen nicht. Wir spazierten ein paar Meter weiter nach oben und entschieden uns dann doch nicht für den Aufstieg. Das könnte doch länger werden, die Masten der Sessellifte zum Gipfel waren dort oben wirklich klein geworden nur der Gipfel wirkte trotzdem zum Greifen nahe.
Meine beiden Begleiter ließen sich aber nicht lange überreden und wir stiegen in das verlasse Observatorium ein. Wir saßen eine Stunde lang außen an die Kuppel gelehnt und genossen die Sonne, unterhielten uns und tauschten Reiseerfahrungen aus, über Technik an Bus und Roller wurde auch gefachsimpelt.
Nun trennten sich auch unsere Wege, der T3 Richtung Heimat und ich zurück zum Campingplatz. Diesen Abend waren wir nur eine kleine Runde, die Kinder waren ja wieder in Granada in der Schule. Ich freue mich so sehr über die neue Bekanntschaft und die Offenheit und Gastfreundlichkeit die mir gegenüber aufgebracht wurde. Leider finden sich diese Eigenschaften nur mehr selten bei Menschen hier zu Lande, zum Teil auch verständlich, weil dies bei uns auch gleichzeitig von vielen nur ausgenutzt wird. Am nächsten Morgen ging es ohne große Verabschiedung weiter nach Süden, ich versprach eine Postkarte wenn ich wieder zu Hause bin und ein Wiedersehen.
Mein Ziel für heute wäre auf jeden Fall Málaga und etwas darüber hinaus. Mir wurde gesagt, dass die Küste ab dort zu meiden sei. Hochhäuser, Touristenhochburgen und viel Verkehr. Bis Málaga fuhr ich durch eine mit Olivenhaine und sandbraune Hügel verzierte Landschaft. Jetzt verstehe ich Bilder die z.B. Picasso gemalt hat auch viel besser. Es war alleine schon die Landschaft so schön abstrakt und nicht nur das geistige Auge des Künstlers.
Ich kam flott voran, ab und zu ein Tankstop für den Roller, dann wieder einen für mich. Jamón Serrano, Soda Zitrone und ein Kaffee um knapp 10€ fand ich gut. Bald war mein Mindestziel erreicht und ich fuhr die Kurven hinab nach Málaga. Ich entschied mich aber durch zu fahren und noch weiter zu sehen. In meinem Kopf war schon ein Leuchtschild angebracht mit der blinkenden Schrift Gibraltar. Nun machte ich aber den Fehler nicht gleich wieder ins Landesinnere zu fahren und wurde fast ein Opfer des Tourismuswahnsinns. Marbella wird mich nie wieder sehen. Ich bin etwa eine Stunde auf und ab gefahren auf der Suche nach einem Campingplatz oder einem Internetcafé um mich schlau zu machen, wo ich mein Zelt aufbauen könnte. Nach einer kleinen Tortur war ich auf einem gigantischen Campingplatz angekommen. Der härtest mögliche Kontrast zu meinen neuen Freunden nahe der Sierra Nevada. Ich machte das Beste daraus, setzte mich an die Bar, trank zwei Bier und schrieb die Postkarten, die mir am Morgen zum Abschied geschenkt wurden.
Als klarer Außenseiter unter den ganzen Campingprofis packte ich früh am Morgen meine Sachen, der Guten-Morgen-Espresso brachte mich auf Touren und ich meinen Roller. Berge, da wollte ich hin. Wieder war es wie zu erwarten, 20km in das Land hinein und es gab schöne heile Welt. Am Weg tankte ich meine Wasserreserven an einer frischen Quelle auf, zwei Polizisten am Motorrad kamen in gewaltiger Schräglage um die Kurve und ich dachte mir, sie haben jetzt gerade auch großen Spaß an ihrem Beruf. In Ronda wurde zum letzten Mal mit Jamón Serrano gefrühstückt und die Strecke bis kurz vor Gibraltar war traumhaft.
Es war früher Nachmittag als ich an der großen Bucht zwischen Ölhafen und Raffinerie stand. Vor mir der große Felsen. Langsam kamen meine Erinnerungen zurück. Seestraße von Gibraltar, der Felsen, alles da vor meinen Augen. Ich hatte das Gefühl, wieder einen Punkt meiner jetzt schon langen Reise überschritten zu haben. Auf dem Weg zum Felsen war auf den Asphalt geschrieben, wohin ich musste. Die Spuren wurden enger, Zweiräder wurden von Fußgängern und Autofahrern getrennt und eine Dame in Uniform wollte meinen Ausweis sehen. Ich dachte mir nicht viel dabei und überquerte das Flugfeld. Immer der Nase nach fuhr ich durch dichten Verkehr an Docks und Wohnblöcken vorbei, durch in Stein gehauene Tunnels bis ich vor dem Leuchtturm stand. Dahinter die Seestraße und Afrika. Ich genoss den Moment, nahm mir Zeit und fühlte mich gut mit dem was ich war.
Drei Bauarbeiter kamen vorbei und gratulierten mir zu der weiten Reise und fanden, dass mein Roller richtig große Eier hat. Sie sprachen perfektes Bauarbeiter-UK-Englisch. Ich brauste wieder davon mit dem Gedanken der Küste entlang nach Tarifa einen Schlafplatz zu suchen. Unter dem Felsen von Gibraltar durch suchte ich den Weg zum Flugfeld um weg zu kommen. Mein Ohr, das ja ein wichtiger Sensor ist und unterbewusst immer das Laufgeräusch des Motors prüft schlug plötzlich an. Ich wurde langsamer, blickte nach links und Mat auf seiner gelben DL200 grinste mich staunend an. Sein Roller mit besonders großer Auspuffanlage waren mir und meinem Ohr nicht entgangen. Ich lud ihn ein, einen Kaffee zu trinken aber er schlug das Angebot aus, er hatte zu arbeiten. Ich sollte ihm aber folgen, er würde mich zu seinen Freunden in die Werkstatt führen. Das Gibraltar Racing Team war hier zu Hause und Steve war der Mechaniker und Fahrer.
Steves Kundschaft hat Probleme.
Er lud mich auf einen Kaffee ein, zeigte mir seine Projekte, seine Kundschaft brachte uns in eine Hafenkneipe und wir fuhren später noch zu einem anderen Kompagnon, der eine Zweirad-Händler war. Langsam wurde mir auch klar, warum hier alle so gut Englisch reden und mit Pfund Sterling zahlen. Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass Gibraltar eigentlich zu Großbritannien gehört. Somit war das auch geklärt. Mit Steve hab ich mich noch über Tuning-Schnickschnack, Lambretta und Reisevorhaben unterhalten. Der Nachmittag war sehr entspannend und der Geruch in seiner Werkstatt weckte ein Heimatgefühl in mir. Ich verabschiedete mich mit einem: „Stay always on your wheels”. Auf dem Weg nach Tarifa verfranste ich mich einmal und war in einer kleinen Ortschaft gelandet, Sackgasse sozusagen. Ich ließ mich vom Anblick Afrikas beeindrucken, dass gerade hinter den aufziehenden Wolken verschwand.
Alles sehr eindrucksvoll und besonders stark war die kurze Fahrt auf der Schnellstraße nach Tarifa. Der Wind blies angenehm, die Sonne war kurz vor dem untergehen und schien durch die dutzenden Windräder, die sich entlang der Straße drehten. Ich wollte liebend gerne stehen bleiben, hielt das aber an dieser Stelle für eine schlechte Idee. Im Ort angekommen fragte ich nach einem Campingplatz und fand den auch kurz darauf. Für Tarifa habe ich mir noch zwei Tage gegönnt, auch um meine ganze Wäsche zu waschen. Wie sieht denn das aus, wenn man zum ersten Mal nach Afrika kommt und dann nicht gekämmt und gewaschen vor der Tür steht. Die Zeit bis die Wäsche trocken war habe ich mit faulenzen verbracht. Tarifa ist von Surfern übersät und hat eine nette kleine Altstadt mit einem herrlichen Kaffeehaus. Ich verbrachte Stunden mit Bier und Tapas, ging an den Strand, beobachtete das Treiben der Kite-Surfer und Wellenreiter, erforschte das leerstehende alte Castillo de Santa Catalina und die umliegenden Bunkeranlagen. Ich fühlte mich so frei zu tun und lassen was ich wollte und folgte meiner Neugierde, Neues zu entdecken.
Im Castillo de Santa Catalina.
Suchbild: Wo steht mein Roller?
Die Wäsche war bald trocken und ich wiederholte am nächsten Tag meine Tour. An der Strandpromenade sitzend mit Chips und Ananassaft freute ich mich über mein Sein. Gegen Sonnenuntergang machte ich mich auf den Weg zurück zum Dackelzelt und holte mir vom Supermerkato noch eine Flasche Rioja und 20dkg Jamón Serrano. Übrigens waren meine Campingplatznachbarn ein Ehepaar aus Tirol, die mit ihrem kleinen Camper Urlaub in Spanien machten. Wir hatten uns schon am Vortag gut verstanden und sie bestanden darauf, mit ihnen ein Glas Wein zu trinken. Das nahm ich gerne an und forderte von ihnen, mir beim Schinken und Wein zu helfen, alleine würde ich das nicht schaffen. Anfangs etwas höflich-zögernd konnten sie dann aber dem guten Geschmack des Jamón Serrano nicht widerstehen und die Flasche Wein war auch bald leer.
Am nächsten Morgen fand ich als Dankeschön noch eine Packung ihrer hausgemachten Dörrfrüchte die ich sehr gerne hatte. Der perfekte Proviant für Marokko. Mein Zelt wurde gepackt, der Guten-Morgen-Espresso geschlürft und es ging auf zur Fähre. Nach etwa 40 Minuten legten wir an und einer von der Besatzung zog die Mooring ein um anzulegen. Ich hatte in der Zwischenzeit meinen Roller enttaut und der Schiffsmechaniker in seinem schwarzen Overall verabschiedete sich noch mit einem freundlichen: „Welcome to Marocco!“.
Ich dachte mir: „Welcome to Interzone“, und hatte William S. Burroughs und Naked Lunch in mein Gedächtnis gerufen. Ich war der Spion und mein Roller eine riesen Schabe. Wenn das schon so freundlich losgeht, kann das nur ein toller Trip werden. Tanger ließ ich vorerst hinter mir, ich würde dafür vor der Abfahrt nach Europa noch Zeit haben. Ich wusste nicht viel über Marokko und hatte auch keinen Reiseführer, diese Bücher lehne ich mittlerweile fast ab. Ich hatte von Freunden aus Sella zwei Ortschaften aufgeschrieben bekommen die ich besuchen wollte. Chefchaouen und Fès. Ich selber wollte unbedingt das Rif Gebirge überqueren, da ich ja die Berge sehr mag und auch neugierig war, was mich dort erwarten würde. Die Straßen waren wider der Erzählungen besser als berichtet und der Verkehr auch nicht schlimm. Im Norden waren alle sehr gemütlich unterwegs, etwas südlicher sollte das aber anders werde. Der Verkehr besteht eigentlich fast nur aus alten Mercedes 220D und 308/408 Bussen als Taxi und Transporter. Sonst ein paar alte Renault und neue Golf. Wahrscheinlich fährt mein R5, den ich als erstes Auto mit einem Motorschaden abgegeben hatte, hier auch noch irgendwo herum. Ich kam gut voran, der Roller lief wie ein Uhrwerk und ich fühlte mich wie in einer anderen Welt. Ich versuchte mich rasch an mein neues Umfeld zu gewöhnen.
Die wenigen Ortschaften, die ich durchfuhr, waren relativ dreckig und viele Leute tummelten sich, ich wollte noch nicht stehen bleiben sondern erst ein Gefühl für meine Umgebung entwickeln. Bis nach Chefchaouen waren es nur wenige Stunden und ich wusste von einem Campingplatz knapp oberhalb der Stadt.
Nach einer Runde stellte ich mein Zelt auf derselben Terrasse wie meine Spanisch-Irischen Nachbarn auf. Ein sehr nettes Paar in meinem Alter mit ihrem VW Bus unterwegs. Am späten Nachmittag ging ich noch in die Medina hinab um mich etwas mit den Menschen und der Gegend vertraut zu machen. Die Stadt war sehr touristisch und somit waren die Menschen an Urlauber gewöhnt. Ich trank Minztee und aß, füllte meinen Reiseproviant mit Obst und Wasser auf.
Den nächsten Tag verbrachte ich in der Hängematte am Campingplatz, freundete mich mit meinen Nachbarn an und ließ die Seele baumeln. Ich wollte aber nicht zu lange hier hängen bleiben, das Gebirge zog mich magisch an und so brach ich am Tag darauf mit Verspätung kurz nach Mittag auf. Ich verabschiedete mich während der Stadtbesichtigung bei meinen Freunden und einem weiteren spanischen Paar, die am Vorabend dazu gekommen waren. Sie wollten noch einen Tag bleiben und dann ebenso über das Rif nach Süden fahren.
Nach der Ortsausfahrt wurde ich an einer Straßensperre von der Zivilpolizei kontrolliert und konnte als Tourist weiterfahren. Der freundliche junge Herr wünschte mir noch „Good Luck“ und ich zog den Berg hinauf. Dass die Leute neben der Straße mir zuwinkten und nachpfiffen wunderte mich nicht weiter und ich ignorierte es genauso wie die Leute um den Campingplatz, die einen von früh bis spät mit lokalen Spezialitäten locken wollten. Bei den Tankstopps wurde es aber etwas lästig und ich lehnte die Einladungen zu Tee oder Kaffee ins Eigenheim da hinten freundlich, aber bestimmt ab. Die Menschen setzten mich damit schon unter Druck, aber ich war mir sehr bewusst was ich hier mache und wo ich mich befinde. Im Rif wird ein großer Teil des Haschisch erzeugt, das danach seinen Weg nach Europa oder sonst wo hin findet. Die wenigen Touristen, die sich in die Gegend wagen, werden gerne angehalten und in Geschäfte verwickelt. Mit mir aber sind sich die Leute nicht ganz so sicher gewesen, ein Typ auf einem alten Roller passt nicht ganz in ihr Muster hinein. Trotz allem wollte ich nicht zu lange hier im Gebirge verbringen, mir war klar dass die Leute im nächsten Ort schon per Telefon erfahren haben, dass da wer in Anfahrt ist. Mit vollem Tank fuhr ich gezielt weiter, ignorierte die Pfiffe und Rauchzeichen. Ein fliegender Stein verfehlte mich und ich hörte nur das scheppern an der Leitplanke. Für die Kinder, denen ich ja weit mehr zutraue als den Erwachsenen, hatte ich eine Geheimwaffe in der Hinterhand. Spanische Bundesliga 2012 Aufkleber und Buntstifte. Meine Freunde vom Campingplatz in Granada gaben mir den Tipp und meinten, damit machst du dir wirklich Freunde für das Leben und nicht nur für den kurzen Moment, in denen du den Kindern dein Wechselgeld gibst. Ich fuhr mittlerweile durch Nadelwälder mit hohen Bäumen und fühlte mich fast wie in den Alpen. Die Luft war sehr sauber und ein leicht süßlicher Duft lag in der Luft.
An der Abzweigung Richtung Ketama tankte ich, hätte wieder jemanden auf einen Tee folgen sollen und zog weiter ab Richtung Osten. Da ich erst gegen Mittag aufgebrochen war, neigte sich der Tag zu Ende. Ich hatte nichts mehr zu Essen, wenig Wasser und Campingplätze gibt es hier mit Garantie keine. In Targuist, einer winzigen Stadt, wollte mich mein Navi über den Sportplatz leiten um die Abzweigung Richtung Fès zu erreichen.
Das Bild war sehr bizarr. Ich befand mich zwischen Plattenbauten und betonierten Straßen, alle Augen auf mich gerichtet. Nicht ganz wohl und schon etwas müde parkte ich direkt vor einem kleinen Greisslerladen. Ich kaufte zähes Fladenbrot und zwei Schokotörtchen, die weichen mit viel ungesunder Fettsäure. Diese in ein Fladenbrot rein gepackt und fest zusammen gepresst kommen einem Weißbrot mit Nutella schon sehr nahe, ein wahres Frühstück für Champions. Ich war wieder raus aus dem Laden und wusste nicht recht, aber mein Herz entschied richtig. Nicht die Flucht weg, sondern der Schritt zu den Menschen vor der Bar nebenan war die richtige Entscheidung. Ich bestellte einen Minztee und bekam eine Einladung zum Essen. Ich war hungrig wie ein Tiger und griff mit Fladenbrot das Gemüse aus der Tajine. Die Männer in meinem Alter, die das Lokal führten, freuten sich über meine Anwesenheit. Es würden nicht viele Reisende hier halt machen. Ich bekam dann meinen Minztee, sah noch etwas Fußball und machte mich bald auf den Weg, ich brauchte noch einen Zeltplatz. Für Speis und Trank wollten sie kein Geld sehen, wenn ich Zeit hätte sollte ich doch am nächsten Tag wieder auf Besuch kommen. Elsalama, auf Wiedersehen. Ich fand nun auch die Abbiegungm ohne den Sportplatz zu überqueren und dieses freundliche Erlebnis und das gute Essen gab mir die Kraft die ich benötigte um sicher vorwärts zu kommen. Die Straße über den nächsten Gebirgszug wurde gerade erweitert und alle paar Kilometer waren die Beduinenzelte der Straßenarbeiter aufgestellt.
Ich überlegte mir ob ich mich aus Gründen der Sicherheit bei einem Lager anschließen sollte, fuhr aber weiter bis ich in einer Kurve mit Abzweigung einen Erhebung fand, die durch die Straßenarbeiten vom Bagger bearbeitet wurde. Über eine kurze und steinige Auffahrt fuhr ich stehend im Enduro Stil und befand den Lagerplatz als perfekt.
Gegenüber am Hügel sah ich eine Hütte, Hunde und einen Menschen. Ich hatte ein grelles oranges Shirt an und somit brauchte ich mich jetzt auch nicht wirklich zu verstecken. Egal wo in diesem Land, es sind Menschen da. Du siehst keine Häuser aber ein Mensch kommt um die Ecke. Es ist und bleibt ein Phänomen für mich. Ich entschied mich nur mit Isomatte und Schlafsack zu übernachten, ein Zelt wäre eventuell einer schnellen Abreise hinderlich gewesen. Ich legte mich zurück und rückte meine Lederjacke zurecht um meinen Kopf weich zu betten und blickte in den Sternenhimmel. Mit den Gedanken: „Was ist das denn da oben, das ist ja ein Komet“ verfolgte ich den glühenden Strich, der sich über mir in den Himmel schrieb. Im hellgelben Schweif sah ich kleine runde Partikel, die Orange verglühten. Jetzt kann nichts mehr schief gehen, sagte ich mir. Ich sah mir noch die Sterne an und schlief ein. Gegen 5 Uhr Früh fing es zu tröpfeln an, ich rollte das Zelt aus und benutzte es als Plane. Als ich im Morgengrauen aufstand war der Regen vorbei und ich kochte meinen Guten-Morgen-Espresso.
Das Rudel Hunde am Nachbarhügel machte mich stutzig und der Mercedes der unter mir neben der Straße parkte war auch registriert. Ich wollte in Ruhe zusammenpacken und zügig verschwinden, aber ohne Hektik. Bei meiner Morgentoilette in der Steingrube habe ich die Hunde beobachtet. Sieben bis acht waren es schon. „Wer morgens in eine Grube scheißt, auch mit Steinen schmeißt zu meist“ habe ich in den Wind gereimt und mir ein paar Steine zurecht gelegt. Das nasse Zelt habe ich mit einem kräftigen Ruck ausgebeutelt, von unten vom Mercedes hörte ich nur ein halblautes „Pssssssst!“. Ich war mir so sicher das alle rund um mich wussten, dass ich hier übernachte, aber weiter nichts wollte und eben nur auf der Durchfahrt war. Den Menschen hier in den Bergen bleibt nichts verborgen.
Ich machte mich wieder bei leichtem Nieseln auf den Weg Richtung Fès. Die feuchte kühle Luft war sehr angenehm erfrischend und ich war im morgendlichen Schulverkehr. Gelbe Mercedesbusse sammelten die Kinder auf und der Arbeitstag begann für die Menschen. Ich war bald aus den Bergen heraus und kam schnell voran. Die Straßen waren eher gerade, es ging über eine langgezogene weiche Hügellandschaft, bis vor die Tore der alten Hautstadt Fès.
Suchbild: Wer findet die große Zigarette?
Ich war wieder auf der Suche nach einem Internetcafé, um den nächstgelegenen Campingplatz zu finden. Dabei durchstreifte ich schon einige Teile der Stadt und bekam ein gutes Gefühl, hier wollte ich auch wieder zwei Nächte bleiben. Der Campingplatz war außerhalb der Stadt und hatte eine Wasserwelt zu bieten. Ein Becken mit olympischen Abmessungen, vier oder fünf Wasserrutschen mit Kreisel und noch weitere Becken. Allerdings war das Ganze nicht wirklich in Betrieb. Es war jeden Tag ein anders Becken voll und zwei weitere leer. Ich vermute die haben das Wasser nur hin und her gepumpt. Merkwürdig, aber amüsant.
Ich wollte mich wieder einmal hübsch machen, fuhr in die Stadt und fand eine Wäscherei. Ich ließ alles dort und konnte meine professionell gereinigte Kleidung in zwei Stunden wieder abholen. Besonders meine Motorradjeans hatten eine eigene herbe Note erhalten. Ich fand um die Ecke das Café MAS, gleichnamig dem Fußballclub aus Fès. Hier war es nicht so eng mit dem Islam und es tummelten sich auch reife Damen mit sehr starker Ausstrahlung. Ich mochte ihre Art, trank noch einen Minztee und holte darauf meine Wäsche ab. Sie roch wunderbar nach Waschbenzin und ich hoffte, nicht als Feuerball auf meinem Roller aufzugehen. Das mit dem Kometen hatte ich schon und es war ein unvergesslicher Anblick. Den Besitzer der Wäscherei fragte ich noch nach einem schönen Hamam. Sein Sohn arbeitete in einem und er würde mit dem Auto vorfahren. Klasse Service, erst die Kleidung, dann ich. Mein erster Besuch in einem Spa-Hamam war ganz was Neues und ich überspielte meine Unsicherheit. Nach dem Dampfbad wurde ich von oben bis unten eingeseift und abgeschrubbt, Haarwäsche und Gelenkeknacksen inklusive. Der Haltegriff auf der Steinplatte auf der man eingeseift und geschrubbt wird ist essentiell wichtig. Er bewahrt einen vor einem rutschigen Abgang und dem Absturz auf den harten Boden. Nach dem Duschen und Abkühlen im Whirlpool warf ich mich eine halbe Stunde in den Ruheraum und verabschiedete mich. Ich muss sagen, so was hat Stil. Für den nächsten Tag hatte ich eine Entdeckungstour durch die Altstadt geplant. Vom Campingplatzbetreiber ließ ich mir einen Guide aufschwatzen. Für 20€ war das nicht die Welt und ich wusste von anderen Reisen, wo es wirklich nützlich ist, jemanden bei sich zu haben, der die Gegend kennt. Die Medina von Fès hat über 9000 kleine Gassen und die Stadt ist etwa aus dem Jahr 800 n.Ch. Ich war mit dem Preis einverstanden und erfuhr, dass das Taxi hin und zurück noch einmal 20€ ausmachte. Wir einigten uns darauf, dass ich mit dem Roller fahre und der Guide hinten mit, er würde es sicher auch mögen. Am nächsten Morgen wartete der junge Mann auf mich, er sprach sehr gutes Deutsch und wusste nicht ganz was er von dem Roller halten soll. Ich versprach ihm vorsichtig zu fahren und kannte auch schon den Weg zu den Stadtmauern. Dort war ein bewachter Parkplatz und ich kettete meinen Roller an den nächsten Eisenmasten an. Den Vormittag wurde ich durch die Altstadt geführt.
Der Guide zahlte sich wie erwartet aus. Ich wurde nicht ungut angesprochen und man wollte mir nichts verkaufen. Nur der Guide brachte mich dann in ein Lederwarengeschäft bei der Färberei, eine Apotheke mit Naturheilmittel und eine Teppichknüpferei.
Der arme Hund, ich habe ihn um seinen ganzen Anteil gebracht. Ich entschuldige mich bei den Verkäufern und verwies auf meine Reise mit dem Roller und das wenige Gepäck. In der Apotheke kaufte ich eine ölig-süßliche Mandelsauce die quasi wie Viagra sein soll. Sie schmeckt gut, dachte ich mir. Gegen Mittag war die Tour zu Ende, ich lud den Guide noch auf einen Kaffee ein und wir philosophierten über… Religion. Ich blieb höflich und zurückhaltend, gab ihm aber die Chance und den Glauben, dass mir der Islam auch recht wäre, nach dem ich ja auch bei den Katholiken aus dem Verein ausgetreten war. Zum Abschied gab ich ihm noch 5€ Trinkgeld wegen seinem Anteil oder für seine Reise nach Mekka. Als ich zum Parkplatz zurückkam, war mein Roller und Helm natürlich noch da, an etwas anderes hätte ich nie geglaubt. Ich wollte wegfahren und der Parkplatzwächter hielt mich noch an, um seinen Lohn von mir zu kassieren. Ich kannte den Preis, hatte aber nur die Hälfte in Münzen eingesteckt. Das war im natürlich zu wenig und er bestand auf den Rest. Wenn ich nun mit Papiergeld zahle wird da sicher kein Wechselgeld zurückkommen. So dachte ich und öffnete die Werkzeugbox meines Rollers, wo ich immer eine Packung Camel Zigaretten liegen hatte. Vier Zigaretten gab ich ihm und die beglichen meine Rechnung. Sein alter Kollege, der aus dem Wärterhäuschen rauslachte, zeigte mir einen Daumen nach oben und ich düste schnell los. Jetzt war ich aber hungrig wie nur was.
Ein Apfel war mein Frühstück und bei der Stadtbesichtigung kam ich nicht einmal zu einem kleinen Imbiss. Ich glaube, dass Aushungern zur Taktik gehört, um den Touristen dann weich zu kochen um ihn gefügig zu machen für das Geschäft. Nach einem nahezu perfekten Grillhendl mit Pommes und Reis um 2€ im Straßenrestaurant fuhr ich zurück zum Campingplatz. Am späten Nachmittag trafen meine VW-Bus-Freunde aus Chefchaouen ein. Als Urlauber folgen doch alle den gleichen Routen. Sie waren aber nach 20km in das Rif-Gebirge umgedreht, weil ihnen die Situation dort zu gefährlich war. Sie wurden dann doch von Autos aufgehalten und kamen nicht so gut weg wie ich auf dem Roller. Was für mich eines der Höhepunkte meiner Reise war, war für andere ein Horrortrip. In ihrem Reiseführer stand in zwei Zeilen über die Gegend, dass man sie als Tourist unbedingt meiden soll und mehr nicht. Das ist auch ein Grund warum ich den Reiseführer nicht besonders mag. Wir sprangen kurz in den Pool, der am Morgen noch leer war, dafür hatte das Olympiabecken seine Sportlichkeit verloren. Meine Freunde waren müde, ich verabschiedete mich und war früh auf den Beinen.
Guten-Morgen-Espresso und ab geht es. Mir war aufgefallen, dass mein Roller etwas weißen Rauch ausbläst und hatte etwas Getriebeöl nachgefüllt. Das beobachte ich dann besser. Ich wollte an diesem Tag unbedingt nach Casablanca. Humphrey Bogart und Ingrid Bergman waren in meinem Kopf präsent und Sam spielte noch ein paar alte Lieder. Die Straßen waren gut, kleine Ortschaften alle zig Kilometer, so ließen sich gut Meter machen. Ich durchstreifte eine bizarre Landschaft mit Feldern, Erde in allen Farben, sanfte Hügeln, Schafen, Ziegen und Hirten.
Die Zeit verging im Flug, ich blieb nur zum Tanken stehen und merkte auch, dass mein Roller mehr zur Nebelmaschine wurde. Getriebeölstand war aber relativ gleichbleibend und der Motor hing gut am Gas. Ich stoppte einmal an einem Straßengrill um Mittag zu essen und einen Minztee zu trinken. Die letzten Fußballbilder wurden unter das junge Volk gebracht und die Menschen waren äußerst freundlich zu mir. Die Rauchbildung ging mir nicht ganz aus dem Kopf und ich spielte etwas mit der Bedüsung am Vergaser herum. Beide Autofahrer, die mich am Straßenrand mit dem Schraubenzieher sahen, blieben stehen und fragten, ob ich Hilfe benötigen würde. Es war ein gutes Gefühl. Selbst wenn ich einen irreparablen Schaden hätte, könnte ich mit Hilfe der Menschen den Roller und mich rechtzeitig nach Tanger bringen und das Schiff nach Livorno erreichen. Ich düste weiter Richtung Casablanca, Bizarro World um mich herum.
Die Berge hinauf hörte ich ein leises Klingeln aus dem Motor und veränderte die Bedüsung akkurat. Das Klingeln war weg aber ich wusste, ich müsste handeln. Die 400km nach Tanger noch durchbeißen und die zwei Tage am Schiff nützen, um den kommenden Schaden zu finden und zu beheben oder gleich zur Tat. Der Motor lief wieder brav und ich überprüfte am Navi die Seehöhe und ließ alle Daten in meinem Kopf zusammenlaufen. Vergasersetting, Düsenwahl und Seehöhe im Vergleich zu den erfahrenen Werten der letzten tausenden Kilometer.
Ich kam immer näher an Casablanca, die ersten Händler machten ihr Geschäft an der Straße und der Verkehr nahm zu. Kurze Zeit später war ich auf dicht befahrenen Straßen zwischen alten LKWs und rundherum Slums. Die ganze romantische Vorstellung, die ich durch den Film Casablanca in mir hatte, war durch die Dieselrauschschwaden schnell weggeblasen. Ich ließ mich mittreiben, mein Roller rauchte wie die alten Transporter um mich herum und schlug mich bis zur Hassan II. Moschee an der Strandpromenade durch. Ich parkte, musste dringend und ein ordentlich durchtrainierter Marokkaner, der etwas jünger war als ich baute sich vor mir auf: „No parking here!“. „Okay, five minutes and a cigarette.“ Das war akzeptiert, die Welt drehte sich weiter und eine weitere lokale Größe kam mit seinem Bullterrier inklusive Stachelhalsband aus Draht. Ein wirres Treiben hier. Ich machte mich auf die Suche nach einem Internetcafé und fand so meinen Campingplatz. 30km nördlich liegt Mohammedia. Der Campingplatzbetreiber konnte kein Englisch und ich kein Französisch. Ich erklärte ihm dass ich ein Problem mit meinem Motorroller habe und daran arbeiten muss, bat ihn um einen Russenluster und bekam einen Platz zugewiesen, wo eine betonierte Fläche angrenzte. Also doch alles verstanden ohne gemeinsame Sprache, prima.
Mit jeder Schraube, die ich am Motor löste, wurde ich schwächer. Ich kannte das Gefühl und mir war klar, mein Roller und ich haben nicht nur eine innige Verbindung, auch die Kofte vom Nachmittag würden mich gleich verlassen. Mein Zeltnachbar, ein älterer Marokkaner, rief mich mit den Worten: „Hey mécanicien!“ zu sich, teilte seinen Lammeintopf mit mir und meinte ich hätte genug für heute und sollte schlafen gehen, oder mit ihm da rüber wo er mit Freunden Karten spielt. Er ging zu seinen Freunden, ich saß an seinem Campingtisch und verschlang das Lamm mit Broccoli. Ich bin einer der glücklichen Menschen, die sich den Appetit von fast gar nichts verderben lassen können. Nach 15 Minuten Pause widmete ich mich wieder dem Motor und siehe da, der Wellendichtring des Maghousing war durch. Ich hatte mir zwar den an der Getriebeseite erwartet, aber damit war auch das plötzliche unerwartete Motorklingeln den Berg rauf erklärt.
Wegen zwei Kreuzschrauben, die ich nicht aufbrachte, blieb der zweite Wellendichtring, wo er war. Offensichtlich hatte er aber keinen Schaden und so ließ ich ihn sein. Besser ich mach das in der Werkstatt in Wien als ich schraube hier den Motor kaputt. Ich wusch mir die Hände mit einer Pampe aus Seife und Sandstrand-Sand und legte mich für heute schlafen. Die ganze Nacht regnete es leicht und am nächsten Tag fühlte ich mich wie ein kraftloser Zombie. Nach dem Guten-Morgen-Espresso und einem Schokotörtchen-Sandwich machte ich mich an die Arbeit. Es dauerte länger als gewohnt aber ich wollte den Roller wieder in einem Stück sehen. Bis der Roller zusammen war ging es mir wieder etwas besser und ich fragte einen anderen anwesenden Campingplatznachbar nach einem Mechaniker, der schweißen kann. Die Aufhängung der Angie würde nicht mehr lange halten und ich wollte den Auspuff nicht zwischen Mohammedia und Tanger liegen sehen. Er meinte, dass sein Bruder gleich mit dem Auto zurück ist und sie würden mich hinfahren. Ich lehnte dankend ab, der Roller läuft ja wieder und den Auspuff montiere ich dort ab. Mit einer genauen Wegbeschreibung machte ich mich aus dem Staub, der Roller lief wieder wie ein Uhrwerk. Es rauchte zwar immer noch weiß und beim Wegfahren malte ich einen Strich durch die Luft aber der Motor lief einfach erstklassig. Der Schweißer war schnell gefunden und sein Sohn half tatkräftig mit, den Lack zu entfernen und alles vorzubereiten. Er wurde gerade offensichtlich zu einem großen Lambretta-Fan, auch mein Leatherman mit dem kleinen und dem großen Messer gefiel ihm wahnsinnig. Ich hätte ihn gerne bei ihm gelassen aber noch war ich nicht zurück und wegen einem fehlenden Werkzeug kann es ganz schön blöd laufen. Er bekam großzügiges Trinkgeld und ich machte mich wieder auf dem Weg zum Campingplatz.
Am Weg zurück noch eine Lammtajine verputzt und mit der Kraft ging es nach oben. Wieder angekommen legte ich mich in mein Dackelzelt, hielt Sieste wie ich es in Spanien gelernt hatte und danach einen Guten-Morgen-Espresso am Nachmittag. Mein Zeltnachbar, der ehemalige Professor für Elektrotechnik, kam mit einem jungen Freund in seinem Wagen an. Er winkte mich her und fragte was ich tue. Kaffeepause eben. Mit der Tasse in der Hand fuhren wir los nach Casablanca, eine Freundin abholen. Die führten wir ein Stück herum und luden sie wieder irgendwo ab. Ich reflektierte die Aussicht entlang der Schnellstraße durch die Slums und wir landeten eine Stunde später wieder in Mohammedia.
Mohammedia in Blickrichtung Casablanca.
So ging es den ganzen Nachmittag und die halbe Nacht. Planlos aber doch immer etwas Wichtiges zu tun, fuhren wir durch die Gegend. Vom Strand zum Supermarkt um Schnaps und Bier zu kaufen und wieder zum Campingplatz. Das Auto hatte keinen Radio, wir sangen immer eine Zeile von irgendeinem Lied das wir kannten und das reichte uns, wir hatten ja alle die Songs im Kopf. Es war schon lange dunkel geworden und wir zogen immer noch umher. Ich wollte dann aber zu dem Jahrmarkt der neben dem Reitturnier aufgebaut war, um eine Attraktion zu sehen und sie brachten mich hin, holten mich eine halbe Stunde später wieder ab. Ich wollte in den großen Zylinder aus Holzlatten hinein, es war wie ein riesiges stehendes Weinfass, in der Mitte ein Motorrad und eine Werkbank. Ich hatte immer schon geträumt so etwas mit eigenen Augen zu sehen. Als das Fass voll mit Menschen war kam auch schon die Lady von der Kasse und ließ die Maschine warmlaufen. Sie brauste in der Schräge einige Runden im Fass und übergab an ihren Kollegen. Der Meister aller Klassen riss den Gashahn auf und rotierte in horizontaler Lage. Nach ein paar Minuten hatte er sein Programm mit blind, freihändig, seitwärts sitzend und Kopilotin hinter sich fahrend durchgestanden. Eine gute Demonstration, wie Physik funktioniert.
Die Leute waren begeistert und ich wieder im Wagen. Auf zu neuen Abenteuern in fernen Galaxien, so kam ich mir mittlerweile vor. Beim nächsten Zwischenstopp am Campingplatz empfahl ich mich und fiel in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen stand ich mit hohlem Kopf auf, blickte über die Mauer und erfreut mich an dem Regenbogen vor mir.
Nach meinem Guten-Morgen-Espresso und einer kalten Dusche verabschiedete ich mich von meinem Nachbarn, er lag genauso, wie er gestern gekleidet war in seinem Zelt. Ich werde ihn nie vergessen und verabschiedete mich mit dem Versprechen, das man die guten Menschen immer zwei mal im Leben trifft. Es gefiel ihm und er ließ sich zurück sacken. Ich stellte ihm noch das Glas mit dem biologischen Viagra vor das Zelt, er würde es vielleicht besser brauchen können als ich. Mohammedia hat mir trotz seiner merkwürdigen Atmosphäre, die von Casablanca rüber strahlt sehr gut gefallen. Die Menschen halfen mir wo es geht und bemühten sich um mein Wohl.
Die Atlantikküste entlang war eine schöne Strecke, erst direkt am Meer, später im Landesinneren zwischen Feldern und ab und zu eine Stadt. In einer davon blieb ich zum Frühstücken, es gab eine Art Gießlaibchen, aufgeschnitten und mit Frischkäse gefüllt und dazu einen gemischten frisch gepressten Fruchtsmoothie. Das war so weit der beste Fruchtsaft den ich in meinem Leben hatte, ehrlich gesagt glaube ich, da wird auch kein besserer mehr nachkommen. Das junge Personal hat offensichtlich meine Freude an ihrem Frühstück erkannt und ich bekam ein ehrliches Lächeln zurück. Hand aufs Herz und Elsalam. Rabat, die Hauptstadt ließ ich neben mir. Ich wollte noch drei Nächte in Tanger bleiben um den Geheimagenten auf der Spur zu sein. Die letzten Tage hat es immer wieder geregnet und auch heute musste ich in meinen Gummioverall schlüpfen.
Stellenweise waren unter den Unterführungen Lacken, die mir bis zum Trittbrett gingen und sicher 20 Meter lang waren. Ich beobachtete das Auto vor mir und sah genau auf die Radachse, ob sie sich in einem Schlagloch senkt. In der gleichen Spur kam ich trocken durch die rotbraune Brühe und gab gleich wieder Vollgas. In Larache habe ich mich etwas in der Stadt verfranst und nahm den Weg entlang des Hafens. Es waren immer wieder falsche Abzweigungen oder das Navi, die mich in wunderbare Gegenden führten. In der Zwischenzeit rauchte mein Roller auch nicht mehr, Getriebeölstand war gering weniger und nachträglich stellte sich heraus, der Benzin muss einen hohen Anteil an Wasser gezogen haben, schon bevor er in meinem Tank landete. Ehrlich gesagt auch nicht ganz verwunderlich. Also alles halb so schlimm und ich würde ohne Probleme und schlechtes Gewissen Gas geben können. Am Nachmittag kam ich in Interzone an, ich meine natürlich Tanger. Hotel habe ich nach Anraten eines Freundes schon rechtzeitig über Internet gebucht und somit ersparte ich mir auch noch etwas Geld. Hier wollte ich im Zentrum wohnen und nicht außerhalb am Campingplatz. Ich wollte drei Tage Stadtleben, hier in der Stadt, die auch als das Tor nach Afrika gilt. Das Hotel war alt und in Ordnung, lag am Boulevard und hatte eine kleine Parkgarage in der mein Roller stand. Ich gönnte mir eine heiße Dusche, hing mein Zelt im Zimmer zum Trocknen auf und ließ mich eine Stunde von BBC Discovery berieseln. Für den Abend machte ich mich schick und suchte das Café Centrale auf. Minztee, Salat und ein kleines gegrilltes Stück Fleisch brachten mich wieder mit beiden Beinen auf den Boden. Ich beobachtete das Treiben am Petit Socco, machte ein paar auffällige Persönlichkeiten aus und ging zurück ins Hotel. Am Weg dorthin kurbelte ich noch ein bisschen die Wirtschaft an und ließ mir meine Schuhe putzten, einfach nur weil ich es besser finde, jemand bietet Arbeit für Kleingeld, als er bettelt um etwas Wechselgeld. Am nächsten Tag packte ich mich zusammen und übersiedelte in ein Hotel nahe der Medina, ich hatte mich am Weg von Mohammedia kommend entschieden, nicht mehr zu zelten sondern gleich Tanger anzusteuern. Deshalb musste ich noch in einem zweiten Hotel reservieren. In meiner neuen Unterkunft war die Stimmung sehr familiär, das Hotel in der Altstadt war neu renoviert worden und die Betten waren sehr gut gewählt.
Ich vertrieb mir den Tag mit bummeln, ließ meine Wäsche waschen und brachte meinen Roller zu einem Waschservice, den ich vorhin gefunden hatte. Zwischendurch wurde ich immer von unterschiedlichsten Menschen angesprochen, ob ich nicht dieses oder jenes kaufen wollte. Nur allerbeste Qualität versprachen sie. Da ich das aber schon aus Chefchaouen kannte und auch aus dem Wiener Stadtpark, machte ich mir nicht allzu viel daraus. Ich bot immer wieder eine Zigarette an und mit der einen oder anderen erst finster wirkenden Gestalt ergab sich dann ein nettes Gespräch, für eine Zigarette lang und nicht länger. Dann ging jeder seinen Weg und die Welt war gut. Es sind dann doch nicht alle Menschen so wie sie erst zu sein scheinen. Ich holte meine Wäsche aus der Wäscherei und brachte meine Hose zum Schneider.
Sie bekam einen neuen Fleck aufgenäht, die Säure aus meiner Bordbatterie hatte in Granada bleibenden Eindruck hinterlassen. Alles war wieder wie neu und ich verbrachte noch einige Zeit in Cafes, einem Fischrestaurant im Hafen oder machte kleine Ausfahrten an die Steilküsten und blickte rüber nach Europa.
Fischrestaurant im alten Hafen.
Morgen früh sollte ich ja zum Hafen, 40km außerhalb von Tanger, um meine Fähre nach Barcelona und weiter nach Livorno zu erwischen. Deshalb ging ich am Abend nicht mehr in einen Club sondern in ein Café. Eine der auffälligen Gestalten vom Vortag, ein Brite um die sechzig, nahm neben mir Platz und verwickelte mich in ein Gespräch. Bald waren noch mehrere seiner Freunde oder Bekannte anwesend. Ein Überbleibsel der Beat-Generation. Sie waren alle angeblich Schriftsteller oder Maler, posierten mit ihren Loafers und goldenen Manschettenknöpfen, verglichen die Marken ihrer Krawatten, scherzten und kicherten wie die Hühner. Nach zwei Stunden waren sie dann auch wieder verschwunden. Ein schrulliger Haufen, aber irgendwie hatte ich auch genau die Leute gesucht und gefunden. Am Heimweg kaufte ich noch süßes zum Naschen und verirrte mich in ein schummriges Terrassencafé auf einen Minztee.
Nach dem Frühstück im Hotel waren die letzten Kilometer schnell hinter mir und ich befand mich am Hafen Tanger Med. Der erst einmal nette wirkende junge Mann, der mich zum Ticketschalter meiner Linie brachte, wollte dann gerne mein Wechselgeld haben, das ich aber zuvor in Benzin angelegt hatte. Auf die Frage nach 5€ bekam er ein müdes Lächeln und die Sonnenbrille die ich vorne auf meinem Gepäcksträger gegurtet hatte war ihm dann doch zu wenig schick. Außerdem wollte ich die auch nicht hergeben, für umgerechnet einen Euro war sie ein Schnäppchen aus dem China-Town in Bangkok. Ich fuhr weiter zur nächsten Station und hatte wenig Mitleid.
Erst musste ich die Fahrzeugbegleitpapiere abgeben, die nächste Station war Passkontrolle und danach der Röntgenwagen. Der war faszinierend, der Fahrer wollte aber keine Fotos von ihm und seiner Arbeit machen lassen. Nach dem mein Roller und der Wagen vor mir durchleuchtet wurden hat mir der andere Kollege zugewinkt. Ich nahm den Helm ab und wartete ab. Er schlug mit dem großen Schraubenzieher einmal auf den prallen Reservereifen, den ich seit Spanien nicht mehr brauchte, dann wollte er unter meine Sitzbank sehen. Mir war ziemlich klar was jetzt kommt. Ich habe am Tag vor der Abfahrt aus Annaberg noch das vier Zentimeter dicke Gelkissen aus dem Rollstuhl meiner verstorbenen Großmutter in zwei Teile zerschnitten und zwischen Sitzbankgestell und Überzug gesteckt. Ich saß wie ein König auf seinem Thron und die lange Strecke war wirklich keine große Anstrengung für mein Sitzfleisch. Zurück zum irritierten Grenzbeamten. Natürlich war das blaue, weiche Etwas in meinem Sitz nicht unauffällig, die Schnitte waren mit Gewebeband verklebt damit das Gel im Kissen bleibt. Der Beamte bekam große leuchtende Augen, ich auch. Dann war aber doch schnell klar, worum es sich handelt und nach einem Stich mit dem Schraubenzieher in den Gelpolster deutete ich auf meinen Hintern. Nicht das ich ihn als Arschloch bezichtigen wollte, aber das Kissen war wirklich für meinen Hintern. Ich fuhr weiter zur erneuten Passkontrolle und reihte mich in erster Linie ein, um auf das Beladen zu warten. Stunden später war mein Roller vergurtet und ich habe in meiner Kabine ohne Fenster einen Dauerschlaf betrieben. Ich fand die Stimmung am Bord eher trist. Das Bier war schlecht und teuer, das Essen ebenso. Ich investierte in eine Flasche Wein und ging erneut schlafen. Am nächsten Abend waren wir in Barcelona und ein paar Sattelschlepper gingen an Board. Das Treiben im Hafen war spannend zu beobachten. Große Kreuzfahrtschiffe, Containerkräne, Flugzeuge die neben an am Flughafen landeten und ein Tankschiff das uns wieder mit Diesel befüllte. Es kamen auch drei Schlepper mit österreichischem Kennzeichen an, die auch mitfuhren. Später am Abend als die Fähre weiter Richtung Livorno fuhr, habe ich mich mit den Kollegen kurz unterhalten und mich an ihren Tisch gesetzt. Die Café Corretto, auf die ich eingeladen wurde, raubten mir in der folgenden Nacht den Schlaf. Mit einem der Fahrer hatte ich mich unterhalten, gegen einen kleinen Obolus könnte ich meinen Roller im Hänger verstauen und bis nach Völkermarkt mitfahren. Das klang für mich nach meiner abendlichen Flasche Wein und den paar Café Plus sehr vielversprechend. Am nächsten Tag war ich leicht aus dem Rhythmus, Minuten vergingen wie Stunden und der Tag wollte einfach nicht enden. Irgendwann ging aber dann doch die Sonne unter und die Lichter von Livorno kamen näher. Das Anlegen dauerte eine Weile, die Familien mit ihren Kindern, die auch schon über 50 Stunden an Bord waren wurden leicht gereizt und aggressiv. Wen soll das wundern, ich konnte es am besten nachvollziehen. Als einer der Ersten schlängelte ich mich mit dem Roller zwischen den Schleppern von Board und ein ziviler Grenzbeamter grinste mich an und bewunderte mehr die Lambretta als er Interesse für mich zeigte. Ich dachte ja, dass hier die Leute aus Marokko kommend so richtig zerlegt werden. Ich zeigte ihm den Pass, er winkte mit der Hand ab und ließ mich fahren. Um die Ecke war noch die Guardia di Finanza. Er fragte mich nach Alkohol und Zigaretten und das war es auch. Ich hatte ja wirklich nichts mit, außer vielleicht eine Dose Makrelen als eiserner Reserveproviant. Die ist übrigens heute während ich dieses Reisetagebuch schreibe in eine Sauce mit Champignons und Obers zu einer herrlichen Pasta verwandelt worden. Ich war unten vom Schiff, überholte die verrückten Lastwagenfahrer aus Österreich mit erhobener linker Faust und machte mich auf den Weg. Hätte ich die Mitfahrgelegenheit war genommen, wäre dieses Abenteuer jetzt vorbei. Zur Belohnung stand ich zwei Stunden später im Dunkel der Nacht neben dem schiefen Turm in Pisa. Es war wunderbar, ich liebe es, diese Besichtigungen in der Nacht zu machen. Es sind sehr wenig Menschen unterwegs und die Stadt gehört dir. Nach einer guten Pasta und Tiramisu schlenderte ich durch die schöne alte Stadt. Offensichtlich war die Uni auch wieder losgegangen, junge Italienerinnen und Italiener, gut aber schlicht gekleidet tummelten sich um mich und ließen eine friedliche Stimmung spüren. Niemand trug mehr schlecht gefälschte Designerklamotten, die nicht zueinander passten. Das muss ich hier an dieser Stelle einmal loswerden, Italiener sind die Könige wenn es um Essen geht und haben ein kleines Quäntchen mehr Stil, in der Art wie sie sich geben. Natürlich gibt es für mich aber auch da gewisse Grenzen.
Am nächsten Tag habe ich die Route durch die nördliche Toscana gewählt. Im Wald waren die Schwammerlsucher schon fleißig in ihrem Element, ich versprach mir dadurch auch ein besonders gutes Mittagessen. Polenta mit Schwammerlsauce und Salsicca. Gestärkt und von der Sonne aufgewärmt durchquerte ich die Poebene. Ich war mir nicht ganz sicher wo ich Österreich ansteuern sollte. Über Udine war nicht klug, da mein Kompagnon gerade in Prag war und ich somit dort keinen Schlafplatz hatte. Außerdem war es mir auch zu weit östlich. Direkt über den Brenner wollte ich auch nicht, das war mir zu weit im Westen. Ich entschied mich für die Mitte. Südtirol, Dolomiten und Cortina d’Ampezzo. Ich navigierte recht gut in die richtige Richtung, wechselte zwischen Feldwegen, Landstraßen und Autobahn hin und her und fand meine optimale Route. Somit hatte ich es bis zum Abend tatsächlich bis nach Romano d’Ezzelino. Dahinter begannen die Alpen. Ich war zufrieden mit der Leistung, der Roller freute sich schon auf die Bergstraßen und ich mindestens ebenso. Nach dem duschen und Dackelzelt fixieren fuhr ich noch nach Bassano del Grappa hinein. Ich hatte Lust auf ein Gelato und mit dunkler Schokolade und Vanille war ich glücklich für den Abend. Vom Bäcker holte ich mir noch zwei Pizzaschnitten als Proviant und schlenderte eine Runde durch die wunderschöne Altstadt. Ich trank noch ein Bier und ging früh zu Bett, überlegte mir eine ungefähre Strecke und stellte mir den Wecker. Am kommenden Morgen war ich um 6 Uhr abfahrtsbereit, schob den Roller vom Campingplatz und startete vor den Toren. Zum Aufwärmen ging es gleich einmal dutzende Serpentinen den Monte Grappa hinauf. Das war im Dunklen schon so, dass ich jederzeit mit einem Reh oder anderen Tier auf meiner Strecke rechnen musste. Doch muss ich sagen, es entwickelt sich mit der Zeit ein eigener Sinn für gefährliche Situationen, die gar nicht als offensichtlich erscheinen. Fast am Gipfel angekommen machte ich doch Pause und nahm mir die halbe Stunde um den Sonnenaufgang zu genießen.
Die Nebel wanderten herum, das Licht dimmte sich rauf und ich sah meine Umgebung genauer. Es waren Almen wie ich sie kannte, zwar noch immer in Italien, aber ich fühlte mich hier zuhause. Der Blick auf den Bergkamm der Dolomiten war atemberaubend schön. Ich setze meinen Heimweg fort, fest entschlossen, heute noch bei meinen Eltern zu sein. Die Nächte in den Alpen sind jetzt schon kalt und das Wetter kann launisch sein. Bei der Abfahrt gab ich richtig Gas, hörte auf meinen Sinn und bremste mich ein. Hinter der nächsten Kurve stand ein junger Esel mit Muttertier, sie gingen stiften. Zwei Kurven weiter jagte ich einen Auerhahn auf, diese plumpen Vögel können tatsächlich richtig gut fliegen. Ich bahnte mich weiter den Berg hinab, durch kleine Dörfer und vorbei an saftigen Wiesen und Wäldern. Ich kam den großen Felszinken auch immer näher, es wurde enger und kälter. Ich schlüpfte in meinen Gummiregenschutz der auch gut gegen Fahrtwind schützt und es ging bald wieder nach einer Abzweigung in Serpentinen den Berg hinauf. Über den Passo Giau fuhr ich im ersten Gang. Ich wollte nicht mehr am Vergaser herum spielen und es ging auch so bergauf.
Die Abfahrt nach Cortina d’Ampezzo war wieder Konzentration gefordert. Kleine Beulen und Dellen im Asphalt sind in Kurven nicht unbedingt der Hit. Beim nächsten Tankstopp war ich schon auch erfreut, wie der alte Herr in einer wilden tiroler Mundart deutsch gesprochen hat. Wenig später war ich schon in Osttirol und macht kurz vor 13 Uhr halt in Lienz. Ein Grillhendlstand war die zweite Wahl, eine Leberkäsesemmel wäre mir lieber gewesen. Nach sechs Wochen will der Körper auch einmal was richtig Deftiges zu essen. Lustig waren die beiden Kärntner Motorradfahrer die sich zu mir an den Tisch gesellten. Nach der Frage,wo ich denn grade her komme, saß ich vor zwei langen Gesichtern. Sie fanden das dann große Klasse und waren sehr interessiert, was ich denn so erlebt habe. Meine Augen haben geglüht, ich hab mein Hendl fachgerecht mit den Fingern zerlegt und ihnen ein paar Brocken von meiner Reise zugeworfen. Ich bekam noch nützliche Tipps für die weitere Streckenführung und machte mich auf den Weg. Spittal, Katschberg, Murtal, Eisenstraße und heim. Das schaffe ich auch ohne Navi. Die letzten 60km fuhr ich im Dunklen, dass hatte ich bisher immer vermieden aus folgendem Grund: man sieht Hindernisse zu spät und wenn der Roller streikt wird es richtig übel, dass ist nicht gut. Um kurz vor 20 Uhr war ich bei meinen Eltern. Kürbissuppe, Badewanne und ein paar Geschichten. Das war es auch schon. Die Reise war für mich zu Ende. Eigentlich nicht ganz, denn der Geist braucht immer etwas länger als der Körper, außer man geht zu Fuß. Am nächsten Tag habe ich es mir gemütlich gemacht, Sacherschnitten und Kaffee zum Frühstück und draußen hat es den ganzen Tag geschüttet. Von Pisa nach Annaberg in zwei Tagen fand ich einen krönenden Abschluss. Von Osttirol bis zu Hause war der Roller wirklich nur mit Vollgas unterwegs, so wie ich den Motor auf der ganzen Reise nicht ausgefahren hatte. Der Vierer schiebt. Am Montag fuhr ich zurück nach Wien, freute mich schon sehr auf ein paar alte und auch neue Gesichter, die Arbeit, die in nächster Zeit anstand und das was kommen wird.
Dieses Mal habe ich während meiner Reise so viel erlebt, mir fällt es jetzt noch nicht ein. wie ich die letzten Worte hier formulieren soll, das braucht noch. Aber wahrscheinlich ist den meisten, die das hier lesen, der ganze Reisebericht viel zu lange und sie schauen nur die Fotos an, was ich auch gut finde, das mach ich selber auch gerne.
Streckenkarte
P.S.: Doch, mir ist zum Abschluss noch etwas eingefallen, ein Song der mich auf meiner Reise begleitet hat. Ich werde es wörtlich nehmen. Do it Again.